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Peter Sander

EuGH stärkt den Luftschutz durch die betroffene Öffentlichkeit weiter

Hohe Temperaturen verschlechtern die Luftqualität. Vielleicht nahm der EuGH diese mittlerweile schon zweite Hitzewelle des Sommers zum Anlass für seine Entscheidung im Fall C-732/17 vom 26.6.2019. In diesem Urteil über die Vorlagefrage des niederländischsprachigen Gerichtes erster Instanz aus Brüssel hatte der Gerichtshof die Frage erhalten, ob auch betroffene Einzelpersonen die Positionierung von Luftgütemessstellen anfechten können müssen und wie die Überschreitungen von Grenzwerten zu berechnen wären. Rechtsgrundlage für diese Fragen bildet selbstverständlich die Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft für Europa, die bestimmte Schwellen für Feinstaub, Ozon, Stickstoff und Schwefel vorschreibt.

Zankapfel Messstellen

Dreh- und Angelpunkt der Luftqualitätsrichtlinie und der darauf aufsetzenden Maßnahmen sind neben den konkreten Grenzwerten die Luftmessstellen. Denn das Monitoring der Luftqualität ermöglicht erst die Reaktion auf Überschreitungen. So sind entweder im Falle einfacher Überschreitungen durch den Staat Luftreinhalteprogramme zu erlassen, um die „schnellstmögliche Einhaltung der Grenzwerte“ sicherzustellen. In der Wahl der Mittel ist der Staat dabei völlig frei, solange das Ziel, nämlich die Einhaltung der Grenzwerte erreicht wird. Im Falle qualifizierter Überschreitungen (sog Alarmwerte) treten darüber hinaus bestimmte sofortige Handlungspflichten in Kraft, primär die Verständigung der Öffentlichkeit zum Schutz besonders gefährdeter Personen.

Da all diese Konsequenzen primär an den Ergebnissen der Luftgütemessungen hängen, ist die Frage wo die Messstellen aufgestellt werden äußerst relevant. Die Gefahr besteht, dass diese nur an Orten stehen, wo die Ergebnisse nicht repräsentativ sind, bzw. bewusst dort aufgestellt werden, wo keine Überschreitungen zu erwarten sind. Die Konsequenz von falsch aufgestellten Messstellen: keine oder keine ausreichenden Maßnahmen zum Schutz der Luftqualität und dadurch die Gefährdung der Gesundheit aller Betroffenen. Daher sieht die Luftqualitätsrichtlinie hinsichtlich der Orte von Messstellen in Anhang III/1 vor, dass u.a. folgende Daten benötigt werden:

a) Daten über Bereiche innerhalb von Gebieten und Ballungsräumen, in denen die höchsten Konzentrationen auftreten, denen die Bevölkerung wahrscheinlich direkt oder indirekt über einen Zeitraum ausgesetzt sein wird, der im Vergleich zum Mittelungszeitraum der betreffenden Grenzwerte signifikant ist; b) Daten zu Konzentrationen in anderen Bereichen innerhalb von Gebieten und Ballungsräumen, die für die Exposition der Bevölkerung allgemein repräsentativ sind. […] f) Probenahmestellen sollten möglichst auch für ähnliche Orte repräsentativ sein, die nicht in ihrer unmittelbaren Nähe gelegen sind.

Die Entscheidung

Die Aufstellung von Messstellen ist höchst relevant für Art und Umfang der Maßnahmen zum Luftschutz. Ebenso wichtig ist auch die Art der Ermittlung von Überschreitungen. Im gegenständlichen Fall lautete der Vorwurf der KlägerInnen, dass Brüssel zwar ein Netz aus Messstellen betreiben würde, aber zur Feststellung, ob eine Überschreitung vorliegt, auf einen Durchschnittswert aus allen Messungen zurückgreifen würde. Damit würden schlechte Messergebnisse aus stark belasteten Gebieten maskiert durch die guten Messergebnisse außerhalb des eigentlichen Ballungsraumes. Der EuGH traf hier die klare Aussage: Bei der Frage, ob eine Verletzung von Grenzwerten vorliegen würde, kann nicht nur auf einen Durchschnittswert abgestellt werden, schon die Überschreitung an einer Messstelle erfordert Maßnahmen:

Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 sind dahin auszulegen, dass es für die Feststellung einer Überschreitung eines in Anhang XI der Richtlinie festgelegten Grenzwerts im Mittelungszeitraum eines Kalenderjahrs genügt, wenn an nur einer Probenahmestelle ein über diesem Wert liegender Verschmutzungsgrad gemessen wird.

Hinsichtlich der Frage, ob der betroffenen Öffentlichkeit Rechtsschutz gegen die Verortung der Messstellen zukommen müsse, entscheid der Gerichtshof eindeutig mit einem Ja. Er bezog sich in der Begründung dabei primär auf die fair trial Regelungen des Art 47 Grundrechtecharta, die bereits bei mehreren Fällen mit Bezug zu Rechtsschutz der Öffentlichkeit in Verbindung mit der Aarhus Konvention zur Anwendung kamen (vgl C-243/15 Braunbär 2, C-664/15 Protect). Die Antwort des EuGH auf die Vorlagefrage:

Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 288 Abs. 3 AEUV sowie die Art. 6 und 7 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa sind dahin auszulegen, dass es einem nationalen Gericht zusteht, auf Antrag Einzelner, die von der Überschreitung der in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie genannten Grenzwerte unmittelbar betroffen sind, zu prüfen, ob die Probenahmestellen in einem bestimmten Gebiet im Einklang mit den in Anhang III Abschnitt B Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie vorgesehenen Kriterien eingerichtet wurden, und, wenn dies nicht der Fall ist, gegenüber der zuständigen nationalen Behörde alle erforderlichen Maßnahmen wie etwa – sofern im nationalen Recht vorgesehen – eine Anordnung zu treffen, damit die Probenahmestellen im Einklang mit diesen Kriterien eingerichtet werden.

Bedeutung für Österreich

Bereits im vergangenen Jahr hat der VwGH das Recht der betroffenen Öffentlichkeit, in concreto auch von anerkannten Umweltorganisationen zur Anfechtung eines nicht ausreichenden Luftreinhalteprogramms bestätigt (VwGH 19.2.2018 Ra 2015/07/0074). Dem folgte der Auftrag des LVwG Salzburg an den Salzburger LH zur Überarbeitung des Luftreinhaltepogrammes im Frühjahr 2019. Lobend ist dabei für Österreich zu erwähnen, dass hier bereits die Überschreitung an einer Luftmessstelle ausreicht, um von der Exekutive als relevante Überschreitung wahrgenommen zu werden. Die Errechnung eines Mittelwertes, die laut EuGH und auch relativ eindeutig gegen die Richtlinie verstößt, war in Österreich nicht Praxis.

Neu ist jedoch die Frage, wie die Aufstellung der Messstellen durch die betroffene Öffentlichkeit (Einzelpersonen im Einzugsgebiet und anerkannte Umweltorganisationen) zu bewerkstelligen ist. Nach § 5 IG-L hat die/der LH „Messstellen einzurichten und zu betreiben“. Die Orte sind hinsichtlich ihrer Eigenschaften ebenfalls gesetzlich bzw. unionsrechtlich bis zu einem gewissen Grad normiert. Die konkreten Messstellen finden sich außerdem im Anhang III der Messkonzeptverordnung der BMNT wieder. Es ist daher am ehesten davon auszugehen, dass die Anfechtungsmöglichkeit, die nun laut EuGH eindeutig zu gewähren ist, hier als Beschwerde gegen die „schlichte Hoheitsverwaltung“ der LH gem Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG ausgestaltet ist. Da die LH keine eigene VO zur Verortung der Messstellen erlassen, die Standorte nicht per Bescheid bestimmen und sie angesichts des gesetzlichen Auftrages zum Gesundheits- und Umweltschutz nicht im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung handeln, kommt wohl nur diese Form in Betracht. Bei der Auflistung der Messstellen in Anhang III der Messkonzeptverordnung ist hier angesichts der Regelung des § 5 IG-L von einer deklarativen Auflistung auszugehen. Das B-VG scheint hier also die erforderliche Möglichkeit für die betroffene Öffentlichkeit bereits zu bieten, das IG-L selbst sieht noch keinen derartigen Rechtsschutz vor und ist daher bis zur nun notwendigen legistischen Anpassung entsprechend unionsrechtskonform zu interpretieren.

Wird § 5 Abs 1 IG-L iVm Anhang III Messkonzept-VO jedoch dahingehend gelesen, dass die Festlegung der Standorte auf eine bestimmte Straße durch die BMNT normativ ist und den LH also nur die Aufgabe zukommt, den Standort in einer vorgegebenen Straße zu wählen, müsste das Rechtsmittel der betroffenen Öffentlichkeit dementsprechend auch gegen die Messkonzept-VO gerichtet werden. Dann wäre entweder das Anrufen des VfGH über den Individualantrag denkbar, da persönliche Rechte durch eine VO verletzt werden, oder aber ein Analogieschluss zur Anfechtung von Luftreinhalteprogrammen per Antrag auf Überprüfung an die BMNT. Dies verstärkt natürlich auch den Druck auf die Gesetzgebung, hier rasch Klarheit über den korrekten Rechtsschutzweg zu schaffen.

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