Nach eingehender Auseinandersetzung mit seiner eigenen Judikatur hat sich der VwGH nunmehr in Form eines verstärkten Senats zum Akteneinsichtsrecht nach § 17 AVG hat der Gerichtshof mit Erkenntnis vom 22.10.2013 (2012/10/0002) geäußert. Zunächst analysiert er dabei die bisherige Rechtsprechung, wonach er in seiner überwiegenden Judikatur davon ausgegangen ist, dass das Recht auf Einsicht in die Akten eines (abgeschlossenen) Verfahrens einer Partei nur zum Zweck der Rechtsverfolgung in der Sache zukommt, die den Gegenstand des abgeschlossenen Verfahrens bildet. Die Akteneinsicht muss also – so der Gerichtshof weiter – im konkreten Fall den Zweck verfolgen, diese rechtskräftig abgeschlossene – und nicht eine andere – Sache zu betreiben. Daher steht die Akteneinsicht den Parteien etwa wegen allfälliger Stellung eines Wiederaufnahmeantrages oder Erhebung einer Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu, nicht aber zB um zivilrechtliche Ansprüche oder sonstige außerhalb des ursprünglichen Verfahrensgegenstandes gelegene Rechte geltend machen zu können. Zum Beleg für seine bisherige Linie zitiert der Gerichtshof eine Reihe von Erkenntnissen wie auch die Kritik der Lehre als “bedenklich restriktiv” (Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 9. Auflage (2011), Rz 177, FN 139).\ \ Im hier gegenständlichen Ausgangsstreit (ein Masserverwalter begehrte Einsicht in einen den Schuldner in der Vergangenheit betreffenden Verwaltungsakt, um zivilrechtliche Ansprüche evaluieren zu können) kommt der Gerichtshof nunmehr dazu, dass einer Auffassung des Akteneinsichtsrechts der Vorzug zu geben ist, wonach einer Partei eines (wenn auch bereits abgeschlossenen) Verfahrens Akteneinsicht ohne Rücksicht darauf zu gewähren ist, zu welchem Zweck die Einsicht begehrt wurde. Im Wortlaut:\ \ “Mit der Novelle BGBl. Nr. 199/1982 wurde § 17 Abs. 1 AVG dahin geändert, dass die Wortfolge „deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist“ entfiel, die Möglichkeit der Akteneinsicht durch Anfertigung von Kopien durch die Behörde eingeführt und die Bestimmung sprachlich neu gefasst wurde. Nach den Materialien (RV 160 BlgNR XV. GP, 6 f) erfolgte die Neuregelung der Akteneinsicht – ebenso wie die Einführung der Manuduktionspflicht mit § 13a AVG – „im Interesse des Rechtsschutzes der Parteien“. Die Beschränkung der Akteneinsicht, die durch die Wortfolge „deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist“ umschrieben werde, könne „als verzichtbar angesehen werden“. Ob die Kenntnis der Akten für die Rechtsverfolgung oder Verteidigung durch die Partei erforderlich sei, sei eine Frage, „die nicht der Beurteilung durch die Behörde obliegen soll“. Die Partei solle vielmehr das Recht haben, die Akten und Aktenteile, die sich auf ihre Sache beziehen, unabhängig davon einzusehen, ob ihre Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich sei oder nicht.\ Somit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers die Beschränkung der Akteneinsicht auf solche Akten bzw. Aktenteile, deren Kenntnis für die Partei zur Rechtsverfolgung bzw. – verteidigung notwendig sind, entfallen und den Parteien die Akteneinsicht – unter den sonstigen Beschränkungen – unabhängig davon eingeräumt werden, zu welchem Zweck sie benötigt wird.\ Aus der – ebenfalls mit der Novelle BGBl. Nr. 199/1982 eingeführten – Wortfolge „in die ihre Sache betreffenden“ (Akten oder Aktenteile) kann entgegen der dargestellten überwiegenden Judikatur nicht geschlossen werden, dass das Recht auf Akteneinsicht einer Partei nur zum Zweck der Rechtsverfolgung in der den Gegenstand des (abgeschlossenen) Verfahrens bildenden Sache zukommt.\ Zunächst steht dem schon der klare Wortlaut entgegen, wonach durch diese Passage lediglich normiert wird, in welche Akten bzw. Aktenteile Einsicht genommen werden darf, nicht aber, welchem Zweck die Akteneinsicht zu dienen hat.\ Nach den zitierten Materialien bewirkt die „sprachliche Vereinfachung“ von § 17 Abs. 1 AVG, in deren Zug es zur Einführung dieser Wortfolge kam, keine Änderung des materiellen Gehalts dieser Bestimmung, insbesondere sollte dadurch „das bestehende Recht auf Akteneinsicht nicht beeinträchtigt oder vermindert werden“. Diese Wortfolge dahin auszulegen, dass sie eine Einschränkung des Rechts auf Akteneinsicht im Sinne der dargestellten überwiegenden Judikatur bewirkt, würde daher auch dem Willen des Gesetzgebers widersprechen, der mit derselben Novelle die Beschränkung des Rechts auf Akteneinsicht auf solche Akten oder Aktenteile, die für die Rechtsverfolgung oder – verteidigung erforderlich sind, ausdrücklich beseitigt hat und im Übrigen das Recht auf Akteneinsicht nicht beschränken wollte.\ Die Verwendung der Wortfolge „in die ihre Sache betreffenden Akten oder Aktenteile“ in § 17 Abs. 1 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 199/1982 erfolgte offensichtlich auch in Abgrenzung zu der in der Regierungsvorlage zu dieser Novelle vorgesehenen – jedoch nicht Gesetz gewordenen – Bestimmung des § 17 Abs. 3 AVG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auch nicht als Parteien beteiligten Personen ein Recht auf Einsicht in die Akten „eines Verwaltungsverfahrens“ zukommen sollte.\ Somit kommt das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 17 AVG den Parteien eines anhängigen oder abgeschlossenen Verfahrens – unter den sonstigen Beschränkungen – unabhängig davon zu, zu welchem Zweck sie die Akteneinsicht begehrt haben. Die Partei ist daher auch nicht verpflichtet zu begründen, zu welchem Zweck sie Akteneinsicht benötigt.”\ \ Spannend bleibt die Frage, ob und inwieweit eine präkludierte Partei Einsicht in den Akt eines abgeschlossenen Verfahrens begehren kann. Wollte man die Präklusion hinsichtlich des Akteneinsichtsrechts als Teil der umfassenden Parteirechte nicht entwerten, wäre die Einsicht wohl nur in den (Teil-) Akt zu gewähren, der den Verfahrensstand im Zeitpunkt des Verlusts der Parteistellung abbildet, nicht auch in danach hinzugekommene Aktenteile.
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