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Peter Sander

Vom nahenden Winter – VwGH 2015/04/0002 „Karoline Gruber“

VwGH: Karoline Gruber – Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden nach § 3 Abs 7 UVP-G rechtswidrig.\ \ Peter Sander hat bereits über die Einleitung des Vorabentscheidungsverfahrens sowie die dazu ergangene Entscheidung des EuGH berichtet. Die Details sind hier nachzulesen.\ \ http://www.rechtsblog.at/umweltrecht/2015/04/16/keine-uneingeschrankte-bindungswirkung-von-uvp-feststellungsbescheiden-vorabentscheidungsverfahren-gruber-ist-entschieden.html\ \ Aus den Entscheidungsgründen:\ \ „4. Daraus folgt für den vorliegenden Beschwerdefall Folgendes:\ \ 4.1.  Zur Zuständigkeitsprüfung:\ \ Im vorliegenden Beschwerdefall hatte die belangte Behörde zur Beurteilung ihrer eigenen Zuständigkeit zu prüfen gehabt, ob die vorliegende gewerbliche Betriebsanlage (Gesamtanlage nach § 356e GewO 1994) einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu unterziehen wäre, weil eine derartige UVP von der nach dem UVP-G 2000 zuständigen Landesregierung und nicht von der belangten Behörde als Gewerbebehörde durchzuführen gewesen wäre (vgl. den zitierten Beschluss vom 16. Oktober 2013, EU 2013/0006 [2012/04/0040], V.1.2., mit Verweis auf § 39 UVP-G 2000).\ \ Die Durchführung der UVP durch die belangte Behörde als UVP-Behörde ist nunmehr auch nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil „Gruber“ unionsrechtlich unzulässig, da der EuGH festhielt, dass „ein Verfahren wie das u.a. durch die §§ 74 Abs. 2 und 77 Abs. 1 der Gewerbeordnung geregelte nicht den Erfordernissen der Unionsregelung über die Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechen“ kann (vgl. Rn. 47), und damit die Möglichkeit einer de facto-UVP (zumindest) im Rahmen des gewerberechtlichen Betriebsanlagenverfahrens ausschloss. Eine solche ist nur dann unionsrechtlich zulässig, wenn „in diesem Verfahren alle Anforderungen der Art. 5 bis 10 der Richtlinie 2011/92 erfüllt werden“ (Rn. 50), was der EuGH offenbar für das gewerberechtliche Betriebsanlagenverfahren verneint (so Rn. 47).\ \ Nach der hg. Rechtsprechung ist die (Fach)Behörde verpflichtet, ihre Zuständigkeit von Amts wegen unter Berücksichtigung einer allfälligen UVP-Pflicht des eingereichten Vorhabens zu prüfen und auf Grund nachvollziehbarer Feststellungen im angefochtenen Bescheid darzulegen, warum sie vom Fehlen einer UVP-Pflicht und damit von ihrer Zuständigkeit ausgeht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 31. Juli 2007, 2006/05/0221, vom 20. Februar 2007, 2005/05/0290, und vom 10. Juni 1999, 96/07/0209, 0017).\ \ 4.2. Subjektiv-öffentliches Recht der Beschwerdeführerin (als Nachbarin einer gewerblichen Betriebsanlage):\ \ 4.2.1.   Im vorliegenden Beschwerdefall ist nach den Vorgaben des EuGH im Urteil „Gruber“ vom Verwaltungsgerichtshof zunächst zu klären, ob „diese Nachbarn, die zur ‚betroffenen Öffentlichkeit‘ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der genannten Richtlinie gehören, die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf das ‚ausreichende Interesse‘ oder die ‚Rechtsverletzung‘ erfüllen“ (Tenor und Rn. 46).\ \ Diese Kriterien wurden vom EuGH im Urteil „Gruber“ erläutert. Dem nationalen Gesetzgeber steht es frei, „die Rechte, deren Verletzung ein Einzelner im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, Handlung oder Unterlassung im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2011/92 geltend machen kann, auf subjektiv-öffentliche Rechte zu beschränken, d. h. auf individuelle Rechte, die nach dem nationalen Recht als subjektiv-öffentliche Rechte qualifiziert werden können … doch die Bestimmungen dieses Artikels über die Rechtsbehelfsmöglichkeiten der Mitglieder der Öffentlichkeit, die von unter diese Richtlinie fallenden Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen betroffen ist, dürfen nicht restriktiv ausgelegt werden“ (Urteil „Gruber“ Rn. 40, mit Verweis auf das Urteil des EuGH Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen, C-115/09, EU:C:2011:289, Rn. 36 und 45).\ \ 4.2.2.  Diese Voraussetzungen (des „ausreichenden Interesses“ bzw. der „Rechtsverletzung“) liegen im Beschwerdefall vor:\ \ Dem Urteil „Gruber“ lässt sich entnehmen, dass der EuGH die Entscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung nach der Richtlinie 2011/92 durchzuführen, als Entscheidung, Handlung oder Unterlassung im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2011/92 wertet (Rn. 44). Nach Auffassung des EuGH gehören Personen, die unter den Begriff „Nachbar“ nach der GewO 1994 fallen, unionsrechtlich zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 (vgl. den Tenor und Rn. 42 des Urteils).\ \ Die subjektiven Rechte des Nachbarn im Verfahren zur Genehmigung einer Betriebsanlage ergeben sich in erster Linie aus § 74 Abs. 2 GewO 1994 (vgl. den hg. Beschluss vom 2. Februar 2012, 2010/04/0108, mwN). Die Nachbarn haben Anspruch darauf, dass eine gewerbliche Betriebsanlage nur dann genehmigt wird, wenn zu erwarten ist, dass sie durch diese weder in ihrem Leben, in ihrer Gesundheit, in ihrem Eigentum oder in sonstigen dinglichen Rechten gefährdet, noch in unzumutbarer Weise belästigt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom September 2004, Zl. 2004/04/0142, 0143, mwN).\ \ Im Rahmen dieser Parteistellung steht dem Nachbarn auch ein subjektives Recht auf Einhaltung der gesetzlich normierten Zuständigkeiten zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. April 2010, 2010/18/0044, sowie idS zum Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auch im Zusammenhang mit Unionsrecht das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes [VfGH] vom 28. Juni 2011, B 254/11, mwN). So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass Nachbarn im Rahmen ihres Mitspracherechts mit dem Vorbringen, es sei keine UVP durchgeführt worden, die Frage der Zuständigkeit der vollziehenden Behörde aufwerfen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, 2004/05/0093, sowie auch die hg. Erkenntnisse vom 10. September 2008, 2007/05/0109, und vom September 2009, 2008/05/0038, alle zur NÖ Bauordnung).\ \ Hinzu tritt, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Bestimmungen des Art. 11 der Richtlinie 2011/92 über die Rechtsbehelfsmöglichkeiten der Mitglieder der Öffentlichkeit, die von unter diese Richtlinie fallenden Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen betroffen ist, nicht restriktiv ausgelegt werden dürfen (vgl. Urteil „Gruber“, Rn. 40). Vielmehr ist das Ziel zu berücksichtigen, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren (vgl. Rn. 36 des Urteils „Gruber“ und auch die Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet vom 21. Mai 2015 in der Rechtssache C-137/14, Kommission gegen Deutschland, Rn. 119, zur Frage von Präklusionsregelungen im Verwaltungsverfahren).\ \ Damit erfüllt der Nachbar im Verfahren zur Genehmigung einer Betriebsanlage als Teil der betroffenen Öffentlichkeit aber die Anforderung eines ausreichenden Interesses nach den Kriterien des nationalen Rechts, um gegen eine Entscheidung, dass kein UVP-Verfahren durchzuführen ist, einen Rechtsbehelf einlegen zu können.\ \ 4.2.3.  Fallbezogen ist – entgegen der Auffassung der belangten Behörde – auch die Nachbarstellung der Beschwerdeführerin nach § 75 Abs. 2 GewO 1994 zu bejahen:\ \ Nach ständiger hg. Rechtsprechung kann der Eigentümer oder sonstige dinglich Berechtigte den seine Person betreffenden Nachbarschutz nur bei Zutreffen der im § 75 Abs. 2 erster Satz erster Satzteil GewO 1994 enthaltenen Merkmale und daher jedenfalls nur unter Berufung auf Sachverhaltsumstände geltend machen, die den Eintritt einer persönlichen Gefährdung oder Belästigung im Hinblick auf einen, wenn auch nur vorübergehenden Aufenthalt überhaupt möglich erscheinen lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2005, 2002/04/0191, mwN).\ \ In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsansicht, jemand, der seine in der Nachbarschaft der gegenständlichen Betriebsanlage liegende Wohnung seit Jahren vermietet habe und nicht bewohne, könne nicht durch Lärm und Geruch gefährdet werden, nicht als rechtswidrig erkannt (vgl. das von der belangten Behörde zitierte hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1997, 96/04/0239).\ \ Der Verwaltungsgerichtshof hat es aber bei der Verwendung eines Grundstückes zur Freizeitnutzung sowie zur Erholung und somit bei einem, wenn auch nur vorübergehenden Aufenthalt auf diesem Grundstück, als nicht von vornherein ausgeschlossen erachtet, dass der Eigentümer im Rahmen solcher Aufenthalte auf seinem Grundstück als Folge des Betriebes der Betriebsanlage gefährdet oder unzumutbar belästigt werden könnte und daher die Bejahung der Nachbarstellung des Betroffenen in einem solchen Fall als rechtmäßig erkannt (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2005, 2002/04/0191).\ \ Nichts anderes liegt im Beschwerdefall vor: Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, sie halte sich in regelmäßigen Abständen vorübergehend zur Durchführung näher bezeichneter „Hausmeistertätigkeiten“ (Rasenmähen, Jäten, Heckenschneiden und Schneeräumen im Winter) auf ihren Grundstücken auf. Auch im Rahmen dieser, wenn auch nur vorübergehenden, Aufenthalte ist es nicht ausgeschlossen, dass die Beschwerdeführerin im obigen Sinne als Folge des Betriebes der Betriebsanlage gefährdet oder unzumutbar belästigt werden könnte.\ \ Daher ist ihre Nachbarstellung nach § 75 Abs. 2 GewO 1994 zu bejahen und ist sie – neben der Geltendmachung der Gefährdung ihres Eigentums – grundsätzlich legitimiert, Einwendungen nach § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO 1994 erheben.\ \ 4.2.4. Die Beschwerdeführerin gehört somit der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne der Richtlinie 2011/92 an und erfüllt „die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf das ‚ausreichende Interesse‘ oder die ‚Rechtsverletzung'“ im Sinne dieser Richtlinie.\ \ Daraus folgt, dass die Beschwerdeführerin nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil „Gruber“ die Möglichkeit haben muss, die Entscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, „im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten“ (Rn. 44).\ \ 4.3.  Fehlende Bindungswirkung der UVP-Feststellung und ihre Folgen:\ \ Die Beschwerdeführerin hatte nach der nationalen Rechtslage des § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 keine Parteistellung im Verfahren zur Erlassung des UVP-Feststellungsbescheides (vgl. auch die Ausführungen des EuGH zur fehlenden Parteistellung und Beschwerdemöglichkeit dieser Nachbarn nach UVP-G 2000 in Rn. 42 und 43 des Urteils „Gruber“). Nach den Feststellungen der belangten Behörde kam ihr dieser UVP-Feststellungsbescheid erst nachträglich zur Kenntnis, wurde ihr (mangels Parteistellung nach § 3 Abs. 7 UVP-G 2000) jedoch nicht zugestellt.\ \ Nach der Rechtsprechung des EuGH muss in diesem Fall „das vorlegende Gericht feststellen, dass eine Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, gegenüber diesen Nachbarn keine Bindungswirkung hat.“ (Tenor des Urteils „Gruber“).\ \ Somit ist entgegen der bisherigen (im hg. Beschluss vom 16. Oktober 2013, EU 2013/0006 [2012/04/0040-7], V.1.1. wiedergegebenen) hg. Rechtsprechung davon auszugehen, dass der UVP-Feststellungsbescheid gegenüber diesen Nachbarn keine Bindungswirkung hat. Damit trägt der Verwaltungsgerichtshof der Rechtsanschauung des EuGH im zititerten Urteil „Gruber“ und seiner Verpflichtung zur Durchsetzung des Unionsrechts Rechnung, sodass es keiner Befassung eines verstärkten Senates infolge des Abgehens von einer früheren Rechtsprechung bedarf (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 2013, 2011/17/0156, mwN).“\ \ Der Volltext der Entscheidung ist auf der Website des VwGH unter https://www.vwgh.gv.at/rechtsprechung/aktuelle_entscheidungen/2015/2015040002.pdf?4z6fbj zu finden.\ \ Offen lässt die Entscheidung, welche Schlussfolgerungen daraus de lege lata und de lege ferenda im Detail abzuleiten sind.\ \ Aus meiner Sicht führt kein Weg an einer Novellierung des Rechtsschutzes gegen UVP-Feststellungsbescheide umhin – dies kann entweder durch Einräumung voller Parteistellung und einem nachfolgenden Beschwerderecht geschehen oder schlicht durch die Möglichkeit eines Überprüfungsrechts (zB durch Ausdehnung der entsprechenden Legitimation an Nachbarn). Unionsrechtlich bedarf es einer vollen Parteistellung nicht.\ \ Der VwGH betont in Hinblick auf die diesbezüglichen Ausführungen des EuGH, dass eine de-facto-UVP im gewerberechtlichen Verfahren kein adäquates Mittel ist, weil es die Anforderungen an ein UVP-Verfahren nicht erfüllt. Wenn man die öst Zuständigkeitsordnung – das Verfassungsrecht auf den gesetzlichen Richter wird auch vom VwGH betont – und allgemeine Verfahrensbestimmungen nicht aushöhlen will, so bedarf es auch über Einwendungen/Beschwerden von Nachbarn, die die UVP-Pflicht einmahnen, einer Entscheidung der UVP-Behörde bzw des BVwG.\ \ Andernfalls sind folgende Fälle möglich: die UVP-Behörde hat rechtskräftig eine UVP-Pflicht verneint; nachfolgend entscheidet die Materienbehörde die (echte und bereits entschiedene) Vorfrage anders. Diese Entscheidung kann mE nur in eine Zurückweisung des Genehmigungsantrags mangels Zuständigkeit münden, weil ein eigener Feststellungsbescheid nicht nur mangels Kompetenz, sondern weil die Frage bereits entschieden ist, nicht infrage käme. Der Projektwerber wird diesen Bescheid natürlich anfechten. Sollte die Unzuständigkeitsentscheidung auch durch das LVwG bestätigt werden, so wäre er faktisch genötigt, sein Vorhaben entweder (unter die UVP-Schwelle) einzuschränken, zu Grabe zu tragen oder ein UVP-Projekt auszuarbeiten und bei der UVP-Behörde einzureichen. Wenn das Vorhaben nicht zwischenzeitig modifiziert wurde, müsste nun allerdings die UVP-Behörde ihre Zuständigkeit ablehnen. Immerhin hat sie die Frage nach der UVP-Pflicht und damit ihrer eigenen Zuständigkeit bereits (und mittlerweile wohl rechtskräftig) verneint. Abhilfe könnte beispielsweise die Gewährung eines dem derzeitigen § 3 Abs 7a UVP-G 2000 nachgebildeten, unmittelbar aus dem Unionsrecht abgeleiteten Überprüfungsrecht bieten.\ \ Lösungen de lege ferenda gäbe es deutlich mehr. Peter Sander hat im eingangs zitierten Blog darauf hingewiesen.\ \ Kurzum: die Spannung bleibt auch bei der zweiten Staffel (resp. dem zweiten Rechtsgang) aufrecht, sofern der Gesetzgeber nicht vorher tätig wird (was aber aufgrund der widerstreitenden Interessen wohl kaum realistisch ist …).

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