top of page
Peter Sander

Von der Entfernung griechischer Inseln – EuGH Rs C-280/18 „Flausch“ – Schlussanträ

Sachverhalt:

Mit der angefochtenen Entscheidung wurden die Errichtung eines komplexen Beherbergungsbetriebs auf der Insel Ios (Griechenland) und die Umweltauflagen für dieses Projekt genehmigt.

Die Veröffentlichung des Vorhabens mit der Aufforderung an jeden Betroffenen, Kenntnis und zu dem das Projekt betreffenden UVP-Bericht Stellung zu nehmen, erfolgte in einer auf der 55 Seemeilen entfernten Insel Syros (Griechenland) herausgegebenen Lokalzeitung. Inwieweit diese Zeitung auf Ios verbreitet ist, ist dem EuGH nicht bekannt. Zugleich wurde diese Aufforderung in der Verwaltungsstelle der Region, ebenfalls auf Syros, angeschlagen; dort befand sich die Akte des UVP-Berichts, und dort wurde die Anhörung durchgeführt.

Die streitgegenständliche Entscheidung wurde am 11. August 2014 auf der Website DIAVGEIA (Transparenz) und am 8. September 2014 auf der Website des Umweltministeriums veröffentlicht.

Die Kläger erlangten erst am 22.12.2015 aufgrund von Vorarbeiten Kenntnis von der streitgegenständliche Entscheidung. Klage auf Nichtigerklärung erhoben sie schließlich am 19.2.2016, sohin nach Ablauf eines Zeitraums von mehr als einem Jahr und sechs Monaten seit der Entscheidung.

Der griechische Staatsrat leitete daraufhin ein Vorabentscheidungsverfahren ein, in dem er vom EuGH wissen wollte, (1) ob das Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung beim Erlass der streitgegenständlichen Genehmigung mit den Anforderungen der UVP-Richtlinie vereinbar war und (2) ob die Klagefrist gegen diese Genehmigung durch ihre Veröffentlichung auf einer Webseite im Internet ausgelöst wurde.

Rechtliche Beurteilung:

Fraglich war gegenständlich, ob die Modalitäten der Öffentlichkeitsbeteiligung (Veröffentlichung des Vorhabens in einer auf Syros erscheinenden Zeitung und Anschlag in der Verwaltungsstelle der Region (Syros), Auflegen der Akte des UVP-Berichts sowie abhalten der Anhörung ebenfalls in Syros) den Anforderungen der UVP-RL und insbesondere von Art 6 UVP-RL genügen.

Die in dem Fall anwendbare Fassung des Art 6 Abs 2 der UVP-Richtlinie hatte zwar allgemein die Unterrichtung der Öffentlichkeit und nicht wie in der heute geltenden Fassung der betroffenen Öffentlichkeit zum Gegenstand, dennoch ist es aufgrund des Regelungszusammenhangs von entscheidender Bedeutung, dass die betroffene Öffentlichkeit informiert wird. Die Generalanwältin hält fest, dass kaum Kriterien entwickelt werden können, um festzustellen, ob die gewählten Mittel ausreichen, um die Information der Öffentlichkeit insgesamt zu gewährleisten. Im Vergleich dazu ist dies bei der Unterrichtung der betroffenen Öffentlichkeit sehr viel leichter möglich. Die betroffene Öffentlichkeit gem Art 1 Abs 2 lit e der UVP-RL (Adressaten) wären im vorliegenden Fall neben NGOs wohl zumindest einige, wenn nicht sogar alle Bewohner der Insel Ios sowie allenfalls von dem touristischen Projekt oder deren Auswirkungen Betroffene.

Hinsichtlich der Wahl der geeigneten Informationsmittel besagt Art 6 Abs 2 UVP-RL, dass die Öffentlichkeit durch Bekanntmachung oder auf anderem geeigneten Wege, wie durch elektronische Medien, soweit diese zur Verfügung stehen, zu informieren ist. Die genauen Vorkehrungen für die Unterrichtung der Öffentlichkeit (beispielsweise durch Anschläge innerhalb eines gewissen Umkreises oder Veröffentlichung in Lokalzeitungen) obliegen gem Art 6 Abs 5 Regelungen der Mitgliedstaaten. Die Regelungen der Mitgliedstaaten dürfen allerdings dem Äquivalenz- sowie dem Effektivitätsprinzip nicht zuwiderlaufen.

Die Generalanwältin stellte fest, dass die Regelung des griechischen Rechts, unterschiedliche Arten der Öffentlichkeitsbeteiligung vorzusehen, nämlich die Öffentlichkeitsbeteiligung bei bestimmten größeren Projekten (Klasse A) und anderen durch die regional Behörden und kleineren Projekten (Klasse B) durch die lokalen Behörden, gerechtfertigt ist und dem Äquivalenzprinzip entspricht.

Im Rahmen des Effektivitätsprinzips gem Art 6 Abs 4 UVP-RL muss der betroffenen Öffentlichkeit schließlich eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich über Vorhaben und ihre Beteiligungsmöglichkeiten zu informieren. Bereits etablierte, wirksame Informationskanäle sind zu nutzen. Anderenfalls kommen lokale, aber auch überregionale Zeitungen, Radio und Fernsehen, das Internet, Aushänge und sogar individuelle Benachrichtigungen in Betracht. Bei der Beurteilung, ob dem Effektivitätsprinzip entsprochen wird, kommt es auch darauf an, ob wirksamere Informationsmittel bestehen, die ohne unverhältnismäßigen Aufwand hätten genutzt werden können. Bei Fehlen effektiverer Mittel ist es hinnehmbar, Mittel mit begrenzter Wirksamkeit zu wählen. Die Bedingungen, unter denen die Öffentlichkeit Zugang zu den Projektinformationen erhalten kann, müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem Aufwand stehen, der mit der Informationsbereitstellung verbunden ist. Gleiches gilt für die Wahl des Orts der Anhörung. Die Generalanwältin merkt an, dass die betroffene Öffentlichkeit im Anlassfall relativ einfach durch Bekanntmachung auf Ios direkt zB an zentralen Plätzen erreicht werden können.

Zur 2. Frage, nach der Auslösung der Klagefrist:

Die UVP-RL enthält keine Regelung darüber, ob die Frist für die Klage gegen eine Projektgenehmigung durch ihre Bekanntgabe im Internet ausgelöst werden kann. Gemäß Art 9 Abs 1 der RL ist die Entscheidung über die Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung der Öffentlichkeit nur bekanntzugeben. Eine Grundlage dafür kann auch nicht in Art 11 UVP-RL oder Art 9 Abs 3 AK iVm Art 47 GRC entnommen werden.

Auch hinsichtlich dem die Klagefrist auslösenden Ereignis unterscheidet das griechische Recht nach Projekten der Klasse A und B. So ist es nur bei Projekten der Klasse A vorgesehen, dass eine Bekanntmachung im Internet die Klagefrist auslöst. Dagegen wird bei Projekten der Klasse B die Klagefrist durch die tatsächliche Kenntnis der Genehmigung ausgelöst. Die Generalanwältin erachtet es als grundsätzlich gerechtfertigt, eine neue Methode der Bekanntmachung und – damit einhergehend – neue Regelungen über den Lauf der Klagefrist nur in Bezug auf die größeren Projekte einzuführen, ohne das Äquivalenzprinzip zu verletzen.

Die Bekanntmachung der Genehmigung im Internet ist als solche mit dem Effektivitätsprinzip vereinbar. Es mag zwar selbst heute noch Gebiete geben, in denen das Internet noch nicht ausreichend verbreitet ist, um sich allein darauf zu verlassen, doch gab es im Anlassfall keine Hinweise darauf.

Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es prinzipiell zulässig, die Möglichkeit der Klageerhebung von der Einhaltung einer Frist und den Beginn des Fristenlaufs für die Klageerhebung zudem von einer Bekanntgabe abhängig zu machen, die der Betreffende zur Kenntnis genommen hat oder zumindest hätte zur Kenntnis nehmen müssen. Nicht mit dem Effektivitätsprinzip vereinbar wäre es allerdings, wenn die Behörden den Klägern jede Möglichkeit nehmen würden, ihre Rechte geltend zu machen, dh, wenn die Behörden durch ihr Verhalten die Verspätung der Klage verursacht haben.

Die betroffene Öffentlichkeit darf sich darauf verlassen, dass ein Projekt, das einer UVP bedarf, nur auf Grundlage der Öffentlichkeitsbeteiligung gem Art 6 UVP-RL genehmigt wird. Wurden die Mitglieder der Betroffenen Öffentlichkeit nicht rechtzeitig informiert, so müssen sie auch nicht damit rechnen, dass eine sie betreffende Genehmigung erteilt und bekanntgegeben wird. Der bloße Umstand, dass eine Entscheidung ex post auf einer bestimmten Website zugänglich ist, kann nicht ausreichen, um den Informationspflichten gem Art 9 UVP-RL zu genügen. Folglich kann der betroffenen Öffentlichkeit, die tatsächlich keine Kenntnis von der Genehmigung hatte, eine Klagefrist die durch Veröffentlichung im Internet ausgelöst wurde, nicht vorgehalten werden, wenn sie zuvor keine Möglichkeit hatte sich gem Art 6 Abs 2 UVP-RL über das Vorhaben zu informieren. Dies wäre mit Art 9 und Art 11 der UVP-RL unvereinbar. Dies entspricht auch dem Grundsatz des weiten Zugangs zu Gerichten.

Zu Art 11 UVP-RL ist festzuhalten, dass eine Beschränkung der vorgesehenen Klage auf Fragen der Öffentlichkeitsbeteiligung, die die Rechtmäßigkeit einer Genehmigung unberührt ließe, Art 11 den Sinn und die praktische Bedeutung nehmen würde. Es besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Klage nach Art 11 leg cit und der Genehmigung des Vorhabens, der sich auch aus Art 6 und Art 9 Abs 2 AK ergibt. Auch kann die in Art 11 Abs 2 UVP-RL anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten das Verfahrensstadium festzulegen in welchem Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können, nicht dazu führen, dass ein schwerwiegender Verfahrensfehler wie jener bei der mangelnden Information der Öffentlichkeit gem Art 6 Abs 2 leg cit bei der Beurteilung des Fristenlaufs für die Klagseinbringung unbeachtlich bleibt.

Umgelegt auf das österreichische Recht ist zu fragen – vorausgesetzt die Richter schließen sich der GA an –, ob im Feststellungsverfahren die bislang vorgesehene nachträgliche Anfechtung der betroffenen Öffentlichkeit in § 3 Abs 7 ausreicht.

Ähnliche Beiträge

Alle ansehen

EuGH zum FFH- Ausnahmeverfahren

Dem Vorabentscheidungsverfahren (EuGH 6.7.2023, C166/22 [Hellfire]) lag eine Genehmigung eines Baumwipfelpfads durch eine irische...

bottom of page