Volatile Energiequellen stellen die Netzbetreiber vor neue Herausforderungen. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzespaket nimmt die Netzbetreiber nun stärker in die Pflicht.
Wäre die Energiewende eine Netflix-Serie, wäre das Stromnetz der treuherzige Sidekick des schillernden Hauptdarstellers: unaufgeregt und zuverlässig, aber auch ein wenig blass. Während die Protagonisten manche Höhen und Tiefen durchmachen – so spitzt sich etwa für die Ökostromerzeuger gerade der Thriller um die beihilfenrechtliche Genehmigung der Marktprämie zu –, bleibt das Netz stabil im Hintergrund. Und das ist auch gut so. Denn ein Blackout wäre für Mensch und Volkswirtschaft – Schätzungen gehen von einem Schaden von einer Milliarde Euro pro Tag aus – fatal.
Wichtige Aufgaben
Eine zentrale Rolle kommt der Austrian Power Grid (APG) zu: Als Übertragungsnetzbetreiberin gewährleistet sie nicht nur, dass ausreichend Hochspannungsleitungen für den überregionalen Stromtransport zur Verfügung stehen, sondern sorgt außerdem dafür, dass sich eingespeister und entnommener Strom die Waage halten. Andernfalls würde das Netz schlicht kollabieren. Durch den mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) beförderten Ausbau volatiler Stromquellen, allen voran Photovoltaik und Windkraft, wird dieses Balancehalten des Stromnetzes immer schwieriger, Digitalisierung und neue Technologien gewinnen an Bedeutung.
Aber auch den für die Nieder- und Mittelspannungsnetze zuständigen Verteilernetzbetreibern kommt große Bedeutung zu: Die Ökostromanlagen speisen auf diesen Netzebenen ein. Bestehen zu geringe Leitungskapazitäten, können Projekte schlicht nicht ans Netz und damit bis auf weiteres nicht realisiert werden. Die Verteilernetzbetreiber sind zudem für die Ausrollung der Smart Meter verantwortlich und koordinieren den unumgänglichen Austausch energiebezogener Daten.
Nadelöhr Netz
Fehlende Kapazitäten und hohe Netzzutrittsentgelte für den Anschluss neuer Ökostromanlagen haben sich bisher als Hemmschuh für den Ausbau der Erneuerbaren erwiesen. Das EAG-Paket versucht diese Bremse zu lösen – und nimmt dabei die Verteilernetzbetreiber in die Pflicht. Vierteljährlich haben sie die in den Umspannwerken verfügbaren Kapazitäten zu veröffentlichen. Das schafft Transparenz und erleichtert die Anlagenplanung. Vorausschauende Projektentwickler können sich auch gleich freie Kapazitäten reservieren. Werden diese in der Folge nicht in Anspruch genommen, ist Reugeld zu zahlen.
Aber auch bei fehlender Netzkapazität sind künftige Stromerzeuger nicht machtlos: Sie haben ein Recht auf Netzanschluss, auch wenn dafür zunächst das Verteilernetz optimiert oder ausgebaut werden muss. Dafür, dass die Kosten dieser verpflichtende Netzverstärkung im Bedarfsfall nicht eins zu eins auf den Anschlussberechtigten übergewälzt werden (wodurch so manches Ökostromprojekt wohl unwirtschaftlich würde), sorgt der ebenfalls eingeführte Deckel für Netzzutrittsentgelte. Und auch an den verfahrensrechtlichen Schrauben wurde gedreht. Leitungen bis 45 kV sind nunmehr allgemein von der starkstromrechtlichen Genehmigungspflicht ausgenommen. Simple Regelungen, große Wirkung.
Holistische Netzplanung
Doch die Verteilernetze alleine werden die Energiewende in Österreich nicht stemmen können. Für den überregionalen Stromaustausch braucht es ein robustes Übertragungsnetz. Produktionsspitzen müssen durch Konversionsanlagen (zum Beispiel Anlagen, die grünen Strom in Wasserstoff umwandeln), Batteriespeicher und – ganz klassisch – Pumpspeicher konserviert werden. Energieverbrauch und Erzeugung werden vernetzt. In Anbetracht des verstärkten Ineinandergreifens der Energieträger und Sektoren versucht das EAG einen weißen Fleck auf der energieplanerischen Landkarte zu tilgen: Mit dem "Integrierten Netzinfrastrukturplan" sollen die bisher zersplitterten Informationen zu verschiedenen Energieformen und -trägern gebündelt und so die Grundlage für einen koordinierten Ausbau von Erzeugungs- und Übertragungsinfrastruktur unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen und Synergien geschaffen werden.
Aber nicht nur energiewirtschaftliche, sondern auch ökologische Aspekte stellen maßgeblich Planungsparameter dar. Im Rahmen einer strategischen Umweltprüfung werden die Umweltauswirkungen des erforderlichen Infrastrukturausbaus analysiert, verschiedene Gestaltungsformen verglichen (etwa die möglichen Verläufe einer Leitungstrasse) und die Ergebnisse in der Planung berücksichtigt – und das alles unter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Richtig angewandt, kann die strategische Umweltprüfung die Genehmigungsverfahren der einzelnen Projekte deutlich entlasten und beschleunigen.
Ob damit auch das bei der Kommission anhängige Vertragsverletzungsverfahren wegen der (vermeintlich) unterlassenen strategischen Umweltprüfung des bereits etablierten Netzentwicklungsplans für Strom ad acta gelegt werden kann, bleibt abzuwarten. Mit Spannung erwartet wird auch das Ergebnis eines Pilotprojekts zum Thema Erdkabel: Die Frage, ob Hochspannungsleitungen ober- oder unterirdisch verlaufen sollen, hat zuletzt bei der 380-kV-Salzburg-Leitung Gemüter erregt und Gerichte beschäftigt. Mit dem EAG-Paket wird die Übertragungsnetzbetreiberin APG verpflichtet, die Machbarkeit von Erdkabel zu erforschen. Eine verpflichtende Berücksichtigung im "Integrierten Netzentwicklungsplan", wie noch in der Regierungsvorlage vorgesehen, enthält die finale Fassung des EAG hingegen nicht mehr.
Priorität Versorgungssicherheit
Ein gut durchdachter Ausbau der Netzinfrastruktur ist essenziell für eine effiziente und stabile Energieversorgung. Um die verschiedenen Dimensionen des Stromtransports unter ein Dach zu bringen, sieht das EAG-Paket darüber hinaus die Erstellung einer Strategie für Versorgungssicherheit vor. Darin sollen Angebot und Nachfrage im Hinblick auf Elektrizität, die aktuelle Entwicklungen beim Netzinfrastruktur- und Erzeugungsanlagenausbau und sonstige risikobildende Faktoren in einer Art Bestandsaufnahme analysiert werden.
Das Gesetz sieht allerdings noch wenig Zwingendes zu dieser – auf den letzten Metern in das EAG-Paket gerutschten – Strategie vor. Tatsächlich könnte sie sich aber als Chance erweisen, den für die Versorgungssicherheit immer wichtiger werdenden Bereichen Cybersicherheit, Digitalisierung und Innovation mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Denn die Wandlung von infrastrukturverwaltenden Asset-Eigentümern hin zu Daten-Hubs und Schaltstellen der Energiewende ist voll im Gange. Oder, um nochmals den cineastischen Vergleich zu strapazieren: Der heimliche Held Stromnetz tritt zunehmend ins Rampenlicht.
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