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Der Verkauf einer eigenständigen Anlage innerhalb einer Produktionsstätte als Umgehung des EHS?

Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren in der RS Granarolo (C-617/19) urteilt der EuGH über den Verkauf eines eigenständigen Teils einer Anlage an ein spezialisiertes Unternehmen. Das italienische Gericht legte dem Gerichtshof die Begriffe der „Anlage“ und des „Betreibers“ im EU- Emissionshandelsystems zur näheren Auslegung vor. Damit verknüpft war die Frage nach der Umgehungsmöglichkeit der Zusammenrechnungsregel im EHS.

Ein folgerichtiges Urteil oder die Öffnung für Umgehungsmöglichkeiten, um nicht in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten zu fallen?

Die Produktionsstätte der italienische Gesellschaft Granarolo setzt sich aus verschiedenen Einheiten zusammen und besitzt für den laufenden Betrieb alle erforderlichen nationalen Genehmigungen sowie die Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen. So befindet sich neben einem Wärmekraftwerk (über 20 MW Gesamtfeuerleistung) auch eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage (unter 20 MW Gesamtfeuerleistung) die beide für den Standort wichtige thermische Energie produzieren.

Granarolo entschied sich, die Kraft-Wärme-Kopplungsanlage an die auf Stromversorgung spezialisierte Gesellschaft E.On Business Solutions (im Folgenden: EBS) zu veräußern, schloss aber zugleich einen Energie- und Wärmeliefervertrag, um den Energiebedarf ihrer Produktionsstätte zu decken inkl. weiterer weitreichenden Nebenabreden, wie eine Mindestliefermenge, ab.

Um die Emissionen der Kraft-Wärme-Kopplungsanlage aus der Berechnung ihrer Treibhausgasemissionen auszuscheiden, beantrage Granarolo die Aktualisierung ihrer Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen gem Art. 7 der RL 2003/87. Diese Aktualisierung wurde jedoch von den zuständigen nationalen Behörden verwehrt.

Aus der grundsätzlichen Fragestellung heraus, wem die Treibhausgasemissionen der Kraft-Wärme-Kopplungsanlage zuzurechenen sind, hat das zuständige Verwaltungsgericht dem EuGH folgende Fragen mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt:

I. Ist Art. 3 Buchst. e der RL 2003/87 dahin auszulegen, dass der Begriff „Anlage“ auch einen Fall wie den vorliegenden erfasst:

Eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, die von der Klägerin an ihrem Standort errichtet wurde, um ihre Produktionsstätte mit Energie zu versorgen und anschließend mittels Übertragung eines Betriebsteils an eine andere Gesellschaft, mit einem Vertrag übertragen wurde, der aber neben der Übertragung auch den Betrieb der Anlage selbst und noch andere Nebenabreden, wie einem vertraglich vereinbarten Energiepreis für die nächsten 12 Jahre inklusive Kaufrecht vorsieht.

II. Kann insbesondere der Begriff „technischer Zusammenhang“ im Sinne des Art. 3 Buchst. e der RL 2003/87 einen Zusammenhang zwischen einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage und einer Produktionsstätte dergestalt umfassen, dass die Produktionsstätte, die zwar einer anderen jur. Person gehört, zwar hinsichtlich der Energielieferung eine Vorzugsstellung gegenüber der Kraft-Wärme-Kopplungsanlage genießt, jedoch die eigene Tätigkeit auch im Fall der Unterbrechung der Energielieferung oder im Fall einer Störung oder der Einstellung des Betriebs der Kraft-Wärme-Kopplungsanlage fortsetzen kann?

III. Stellt dieser Sachverhalt eine zulässige organisatorische Entscheidung des Betreibers dar, die das EHS nicht verbietet –

oder handelt es sich um die Möglichkeit der Ausgliederung der betreffenden Emissionen aus der EHS-Genehmigung des Eigentümers der Produktionsstätte infolge der Veräußerung und die etwaige Folge ein Herausfallen der Emissionen aus dem EHS, weil die Kraft-Wärme-Kopplungsanlage für sich betrachtet den Schwellenwert für die Einstufung als „kleiner Emittent“ nicht überschreitet, einen Verstoß gegen die Regel der Zusammenrechnung der Quellen nach Anhang I der RL 2003/87?

Ad I & II

Die beiden Gesellschaften, Granarolo und EBS als die beiden Vertragsparteien, wie auch die Kommission, folgen im Verfahren der Ansicht, dass die Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen dem jeweiligen Betreiber einer Anlage erteilt werde.

Gegenteiliger Ansicht sind dazu die italienische und die tschechische Regierung; nach ihnen sei der Begriff der Anlage unabhängig vom Begriff des Betreibers anzusehen. Somit muss im Ausgangsfall zum Schluss gekommen werden, dass zwar zwei unterschiedliche Betreiber vorliegen jedoch nur ein und dieselbe Anlage mit nur einer Genehmigung im Sinne des EHS vorliegt.

Der EuGH folgt bei der Frage, ob es sich um zwei eigenständige Anlagen gem Art. 3 Buchst. e der Richtlinie 2003/87 handelt, den detaillierten Ausführungen im Schlussantrag des Generalanwaltes Saugmandsgaard Øe und erkennt, dass die Kraft-Wärme-Kopplungsanlage der EBS und das Wärmekraftwerk der Granarolo nicht als ein und dieselbe Anlage im Sinne der RL angesehen werden kann.

Im Schlussantrag wird angeführt, dass die Veräußerin weder Eigentümerin der Anlage ist, noch dass sie die Emissionen kontrollieren sowie sie auch nicht Einfluss nehmen kann auf die Erzeugung der Gesamtenergiemenge. Diese Argumente stützen sich neben dem Begriff der Anlage (Art. 3 Buchst e der RL 2003/87) auch auf den Begriff des Betreibers (Art. 3 Buchst f ibid).

In seinem Urteil führt der EuGH aus, dass es einer auf Tatsachen gestützten Beurteilung erfordert und somit nicht auf die vertraglichen Bestimmungen zwischen dem veräußernden und dem erwerbenden Unternehmen ankommt.

Die Kriterien des Anlagenbegriffs gem Art. 3 Buchst. e sind erfüllt, da sich die Tätigkeit unmittelbar auf eine unter Anhang 1 dieser RL fallende Tätigkeit bezieht.

Näherer Betrachtung bedarf aber das Kriterium der „Tätigkeiten, die in einem technischen Zusammenhang stehen“.

Im Schlussantrag werden dazu drei denkbare Fallgestaltungen unterschieden (49 ff), wobei im konkreten Sachverhalt der Fall anwendbar ist, in dem ein Betreiber einen, in einer aus mehreren technischen Einheiten bestehende Anlage, für die er eine einheitliche Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen besitzt, ausgeübten Tätigkeitsbereich an eine andere juristische Person überträgt, während er die anderen Tätigkeiten im Zusammenhang mit dieser Anlage weiterhin durchführt. Diese Tätigkeiten stehen jedoch nicht in einem technischen Zusammenhang im Sinne von Art 3 Buchst. e.

Den technischen Zusammenhang sah der EuGH in der RS Elekriciteits Produktiemaatschappij Zuid-Nederland EPZ als gegeben an, da eine von den beiden Anlagen in den technischen Gesamtablauf der jeweils anderen integriert war.

Der EuGH sieht im vorliegenden Sachverhalt zwar eine Verbindung dieser zwei Anlagen mittels eines Verteilernetztes als erwiesen an zeigt aber auf, dass im Fall eines Ausfalls der Kraft-Wärme-Kopplungsanlage Granarolo die benötigte Energieleistung über das öffentliche Netz beziehen kann. Somit trägt die Verbindung nicht zur Funktionsfähigkeit des technischen Ablaufs der Tätigkeit bei, was schlussendlich das Vorliegen aller Kriterien des Art. 3 Buchst. e verhindert.

Es handelt sich um zwei getrennte Anlagen im Sinne der RL.

Im Hinblick auf den Begriff des Betreibers stellt der EuGH – im Gegensatz zur Feststellung des technischen Zusammenhangs – auch auf die vertraglichen Vereinbarungarungen zwischen der Veräußerin und der Erwerberin ab. Der EuGH sieht die neue Eigentümerin EBS als die Betreiberin der Kraft-Wärme-Kopplungsanlage an und bejaht den Anspruch der Granarolo auf Aktualisierung ihrer Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen gem Art. 7 der RL.

Weiterführende Überlegungen zum Begriff der Anlage im europäischen Anlagenrecht im Beitrag: Europäisches Anlagenrecht: EuGH verfeinert Defintion der Anlage.

Ad III

Die Zusammenrechnungsregel in Nr. 3 des Anhangs I der RL 2003/87 sieht weder der EuGH noch der Generalstaatsanwalt als umgangen an, dabei werden folgende Punkte vorgebracht:

Erstens, dient die Zusammenrechnungsregel weder dazu, Veräußerungen zwischen Wirtschaftsteilnehmerinnen zu verhindern, noch sollen alle Anlagen, die eine Verbrennung von Brennstoffen vornehmen, in das System des EHS inkludiert werden sondern soll die Zusammenrechnungsregel gem ihrem Wortlaut dazu dienen, darüber zu entscheiden, ob die Anlage in das EHS aufgenommen werden soll. Es bleibt aber unbestritten, dass das Wärmekraftwerk mit dem die Granarolo die Produktionsstätte versorgt (über dem Schwellenwert von 20 MW) weiterhin dem EHS-Regime unterfällt.

Zweitens sieht der Gerichtshof den Grundsatz des Verbots von Betrug und Rechtsmissbrauch, als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, als nicht verletzt an. Im vorliegenden Sachverhalt finde sich kein Anhaltspunkt über eine rein künstliche, jede wirtschaftliche Realität bare Gestaltung, die allein den Zweck verfolgt einen ungerechtfertigten Vorteil zu erlangen.

Das dritte Argument findet sich im Schlussantrag, in dem der Generalstaatsanwalt die möglichen Szenarien aufzeigt, wie beispielsweise einem Neubau einer derartigen Anlage in der Nähe der Produktionsstätte von Granarolo, die ebenso zum selben Ergebnis kommen würde, dass die neue Anlage nicht unter das Regime des EHS fallen würden. Beachtenswert ist ebenso der Argumentationspunkt, dass eine Veräußerung einer Anlage an ein spezialisiertes Unternehmen, zu einer rückläufigen Emission aufgrund der gesteigerten Expertise führen kann.

Der EuGH hat in diesem Urteil seinem bisherigen Anlagenbegriff stringent weiter verfolgt und ist nicht zugunsten einer geänderte Argumentation davon abgewichen.

Mit der potentiellen Umgehungsmöglichkeit haben sich sowohl der Gerneralstaatsanwalt wie auch der EuGH genau ausseinander gesetzt. So wurde für zukünftige Fälle, eine genaue Prüfanleitung und Prüfanweisung vorgegeben. Mangels Vorliegen von Anhaltspunkten einer beabsichtigten Umgehung aber auch dem realen wirtschaftlichen Handeln folgend, kann der EuGH hier zu keinem anderen Schluss kommen, als dass hier keine Umgehung vorliegt.

Sehr wohl aber zeigen sich an dieser Stelle die Schwächen und mögliche Verbesserungsmöglichkeiten

des EHS-Systems um das Ziel, einer globalen Verringerung der Treibhausgasemissionen, besser nachzukommen.

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