Nachdem der VfGH die im ersten Rechtsgang erlassene abweisende Entscheidung des BVwG zur dritten Piste wegen Willkür behoben hatte (siehe dazu die Einträge vom 29.6. und 7.8.2017), war dieses neuerlich berufen, über das Schicksal des umstrittenen Flughafenprojekts abzusprechen. Mit seinem Erkenntnis vom 23.3.2018 bewilligte das BVwG nunmehr die Errichtung und den Betrieb der neuen Piste, schrieb dabei jedoch zusätzliche sowie teils strengere Auflagen – insbesondere in den Bereichen Treibhausgasemissionen, Fluglärm und Baustellenstaub – als jene des angefochtenen Bescheides der Niederösterreichischen Landesregierung vor. Weil es dabei bekanntlich an die Rechtsansicht des VfGH gebunden war, durften Klimaschutz und Bodeninanspruchnahme bei der Abwägung der öffentlichen Interessen nach § 71 Abs 1 LFG keine Rolle mehr spielen.
Zu den wesentlichsten Punkten der Entscheidung:
Das BVwG bejaht das Vorliegen eines Bedarfs an der wesentlichen Flughafenerweiterung und begründet dies vor allem mit der zu erwartenden Zunahme an PassagierInnen.
In puncto Fluglärmschutz sieht das BVwG in den Schutzkriterien der anzuwendenden LuLärmIV eine zulässige Grundlage für die Bestimmung der jeweiligen Grenzwerte. Trotz Vorliegens des Anwendungsfalles „Einreichung vor dem 1.1.2015“ zieht der 3-Richtersenat dabei die strengeren Kriterien des zweiten Anwendungsfalles („Einreichungen ab dem 1.1.2015“) des § 2 leg cit heran und begründet dies mit der noch langen Zeitspanne bis zur Umsetzung des Vorhabens sowie dem Umstand, dass es sich bloß um umweltmedizinische Mindestvorgaben handle. Insgesamt legt das BVwG im Spruch seiner Entscheidung wesentlich striktere Tag- und Nachtgrenzwerte bzw Vorgaben bezüglich Messung und Berechnung des Fluglärms als die Verwaltungsbehörde fest. Die Nichtanwendung des mit der UVP-G-Novelle 2012 eingeführten Entlastungsprivilegs (§ 24f Abs 2 UVP-G 2000) erachtet das BVwG als rechtskonform.
Um Überflüge des Wiener Stadtgebietes zu vermeiden, darf die neue Piste im Ostanflug ausschließlich gekurvt (curved approach) angeflogen werden. In diesem Zusammenhang verweist das BVwG darauf, dass der ursprünglich beantragte Direktanflug samt Instrumentenlandesystem auch nicht mehr Gegenstand des Vorhabens sei.
Bezüglich der in Beschwerden artikulierten Forderung, Flugrouten schon im Genehmigungsverfahren festzulegen, führt das Gericht aus, dass das Fluggeschehen vom Vorhaben der dritten Piste strikt zu unterscheiden sei und gleichfalls nicht Gegenstand einer UVP-Genehmigung sein könne. Das Fluggeschehen sei lediglich prognostizierte Beurteilungsgrundlage des Vorhabens und durch die dafür zuständigen Luftverkehrsbehörden zu regeln.
Hinsichtlich des Schutzes vor Luftschadstoffen schreibt das BVwG wesentlich weitergehende Auflagen als der zugrundeliegende Bescheid vor. Neben Maßnahmen zur Bindung von Baustaub, einzuhaltenden Emissionsstandards bei Baumaschinen sowie durchzuführenden Messungen der Stickstoffdioxid- und Feinstaubkonzentration während der Bauphasen sehen diese insbesondere auch deutlich strengere Vorgaben zur Reduktion von Treibhausgasen vor. Aufgrund der projektierten dritten Piste sei mit einem beträchtlichen Zuwachs an THG-Emissionen (ca. 209,1 kt/a CO2 im Jahr 2025) zu rechnen. Im Vergleich zum bestehenden Zwei-Pistensystem entspreche dies – bezogen auf das Jahr 2025 – einer Zunahme von 50 %. Der vom Flughafen Wien angegebene Wert von 4,2 kt/a an erreichbaren CO2-Einsparungen erweise sich angesichts der eingeholten Sachverständigenstellungnahme zum Reduktionspotential als nicht ausreichend. Aufgrund dieser Erwägungen ordnet das BVwG an, dass binnen fünf Jahren ab Inbetriebnahme der dritten Piste eine CO2-Neutralität des Flughafens herzustellen sei. Weiters seien schon vor Inbetriebnahme der neuen Piste Vorkehrungen zu treffen, die eine Reduktion der CO2-Emissionsmengen um 30.000 t gegenüber dem im Einreichprojekt geschilderten gewöhnlichen Betrieb für das Jahr 2025 zur Folge hätten. Diese Maßnahmen hätten sich auf die Sparten Abfertigung, Triebwerk-Probeläufe, Stationäre Infrastruktur und Emissionen Landside zu beziehen.
Für eine Abweisung des Genehmigungsantrags nach § 17 Abs. 5 UVP-G 2000 sieht das BVwG keine Grundlage. Nach dem unmissverständlichen Wortlaut des Absatzes billige der Gesetzgeber offenbar auch merkliche – und nicht bloß geringfügige – nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt. Die bloß theoretische Möglichkeit schwerwiegender Umweltbelastungen genüge nicht. Zwar komme es „[d]urch den Bau und Betrieb der dritten Piste bei Berücksichtigung lediglich des ‚LTO-Faktor‘ mit 15,71 % zu einer erheblichen Steigerung der THG-Emissionen“ und damit zu einem Beitrag „zu potenziell schwerwiegenden Umweltauswirkungen“, doch scheine angesichts der VwGH-Judikatur, „die für diesen Tatbestand eine Zurechnung von Umweltauswirkungen auf ein konkret abgrenzbares betroffenes Gebiet zu begrenzen scheint, und der vom VfGH in seinem Erkenntnis vom 29.06.2017 geäußerten Ansicht, dass eine Berücksichtigung der Treibhausgasemissionen ihre äußerste Grenze an der österreichischen Staatgrenze finde (womit sich das Ausmaß der zurechenbaren Emissionen des Vorhabens wesentlich reduziert), […] eine Anwendung des zusätzlichen Abweisungstatbestandes des § 17 Abs. 5 UVP-G 2000 auf Treibhausgasemissionen nicht zulässig“.
Für die Fertigstellung des Projekts legt das BVwG hinsichtlich der beiden ersten Bauphasen den 31.12.2023 bzw den 31.12.2024 als Frist fest, die dritte Ausbaustufe ist bis 31.12.2029 zu vollenden. Bis spätestens dahin hat auch der Antrag auf Erteilung der Betriebsaufnahmebewilligung nach dem LFG zu erfolgen.
Die ordentliche Revision lässt das BVwG dieses Mal im Hinblick auf noch nicht ausjudizierte Fragen zur Anwendung der LuLärmIV sowie „zur Frage, ob die Bewilligung der dritten Piste ohne Vorgaben in Bezug auf die Festlegung des Fluggeschehens möglich ist“, zu.
An den entscheidenden Stellen lässt das BVwG durchaus erkennen, von den Ausführungen des VfGH zum LFG nicht überzeugt zu sein und macht in diesem Zusammenhang auch auf Stimmen der Lehre aufmerksam, die die Entscheidung des VfGH teils heftig kritisierten (konkret Wagner, Die Judikatur zur „3. Piste“ – Vom Senkrechtstart zur Bruchlandung in Sachen Klimaschutz, ZVG 2017, 282, Kirchengast/Madner/Schulev-Steindl/Steininger/Hollaus/Karl, Flughafen Wien: VfGH behebt Untersagung der dritten Piste durch das BVwG wegen Willkür RdU 2017, 252, Merli, Ein seltsamer Fall von Willkür: Die VfGH-Entscheidung zur dritten Piste des Flughafens Wien, wbl 2017, 682).
Welche Rolle dem Klimaschutz in künftigen Genehmigungsvefahren zukommen wird, bleibt abzuwarten. Ein völliges Außenvorlassen scheint insbesondere im Hinblick auf die Novelle der UVP-RL (RL 2014/52/EU, die bis zum 16.5.2017 umzusetzen gewesen wäre) jedenfalls nicht möglich. Betont diese doch ausdrücklich, dass aufgrund der durch den Klimawandel verursachten Umweltschäden eine Bewertung der Auswirkungen eines Projektes auf das Klima (zB Art und Ausmaß der Treibhausgasemissionen) angezeigt ist (ErwG 13). Im Hinblick auf die Abweisungsmöglichkeit nach § 17 Abs 5 UVP-G 2000 stellt sich daher auch die Frage, ob die vom BVwG zitierte Judikatur des VwGH, die die Zurechnung von Umweltauswirkungen auf ein konkret abgrenzbares betroffenes Gebiet einschränkt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
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