EuGH betont Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen und Jagdbeschränkungen auch bei abgestuftem Wolf-Schutzstatus
- Marlene Schaffer
- vor 14 Minuten
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In einer neuen Entscheidung zu Estland stellt der EuGH klar, dass der Erhaltungszustand auch nach der Herabstufung des Wolfes in der Fauna-Flora-Habitat-Richtline (FFH-RL) das Maß der Dinge ist. Ist der Erhaltungszustand ungünstig, braucht es Jagdverbote, von denen wie bisher nur in einzelnen Ausnahmefällen abgewichen werden darf.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einer aktuellen Entscheidung vom 12. Juni 2025 (C-629/23, Eesti Suurkiskjad) nicht nur wesentliche Aussagen zur Auslegung des Begriffs „günstiger Erhaltungszustand“ getroffen, sondern ein weiteres Mal klargestellt, dass auch bei „nur“ geschützten Arten des Anhangs V der FFH-RL Schutzmaßnahmen erforderlich sind und Jagdverbote notwendig sein können.
Große künftige Relevanz dieses Urteils
Das Urteil des EuGH befasst sich mit der Auslegung des Begriffs des günstigen Erhaltungszustands sowie mit den erforderlichen Schutzmaßnahmen für den Wolf als Art des Anhangs V der FFH-RL. Während der Wolf bislang als „streng geschützt“ (Anhang IV) galt, wird sein Schutzstatus auf EU-Ebene zum 14. Juli 2025 auf „geschützt“ (Anhang V) herabgestuft. In Estland fiel der Wolf bereits zuvor unter Anhang V. Die Entscheidung des EuGH ist daher besonders relevant für die bevorstehende generelle Änderung des Schutzstatus.
Die Vorlagefragen des estnischen Höchstgerichts
Ausgangspunkt des estnischen Verfahrens war eine Verfügung auf Grundlage des Jagdgesetzes, mit der eine Wolfsjagdquote von 140 Tieren für eine Saison festgelegt wurde (Verwaltungsmaßnahme nach Art 14 FFH-RL). Eine Umweltschutzorganisation klagte gegen diese Verfügung mit der Begründung, der Erhaltungszustand der estnischen Wolfspopulation sei nicht „günstig“ und werde durch die Jagd weiter verschlechtert.
Das estnische Höchstgericht fragte den EuGH, ob Maßnahmen nach Art 14 FFH-RL an den Erhaltungszustand der nationalen Population oder der grenzüberschreitenden Gesamtpopulation anknüpfen müssen.
Zudem wollte es wissen, ob die Einstufung als „gefährdet“ in der Roten Liste der IUCN einem günstigen Erhaltungszustand nach der FFH-RL entgegensteht.
Schließlich stellte es die Frage, ob bei der Bewertung des Erhaltungszustands im Rahmen von Art 14 FFH-RL auch wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Aspekte berücksichtigt werden dürfen.
Ungünstiger Erhaltungszustand erfordert Maßnahmen
Der EuGH beschäftigte sich in diesem Urteil ua mit der Auslegung von Art 14 FFH-RL. Dieser gilt für Anhang V-Arten und bestimmt, dass die MS, sofern sie es aufgrund des Monitorings der Art für erforderlich halten, die notwendigen Maßnahmen treffen, damit die Entnahme aus der Natur einer Anhang V-Art mit der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustands vereinbar ist. Unter Verweis auf sein Urteil in der Rs ASCEL (C-436/22) betont der EuGH, dass die MS bei der Anwendung von Art 14 FFH-RL einen gewissen Beurteilungsspielraum haben, ob es notwendig ist, Maßnahmen zur Einschränkung der Nutzung der Art zu erlassen (Rn 37). Dieser Beurteilungsspielraum ist aber stets durch die Pflicht begrenzt, dass Entnahmen mit der Erhaltung der Art in einem günstigen Erhaltungszustand vereinbar sein müssen (Rn 38). Der EuGH unterstreicht, dass jede Maßnahme, die auf Basis der FFH-RL getroffen wird, darauf abzielen muss, einen günstigen Erhaltungszustand zu bewahren oder wiederherzustellen (Rn 39). Befindet sich eine Tierart in einem ungünstigen Erhaltungszustand, müssen die MS Maßnahmen ergreifen, um den Erhaltungszustand zu verbessern. Nutzungen und insbesondere Entnahmen haben zu unterbleiben, wenn sie mit der Erhaltung/Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands unvereinbar sind (Rn 41, 42).
Umgelegt auf Österreich, wo sich der Wolf in einem ungünstigen Erhaltungszustand befindet, bedeuten diese Klarstellungen des EuGH die Pflicht, Maßnahmen zur Verbesserung des Erhaltungszustands zu ergreifen. Jagdverbote, von denen nur in Einzelfällen abgewichen werden darf, bleiben daher erforderlich. Schusszeiten für den Wolf, wie derzeit von einigen Bundesländern geplant, tragen nicht zu der Verpflichtung der Verbesserung des Erhaltungszustands bei und sind daher als unionsrechtswidrig einzustufen.
Günstig ist der Erhaltungszustand nur bei Gewährleistung seiner Dauerhaftigkeit
Zur Auslegung des „günstigen Erhaltungszustands“ stellt der EuGH klar, dass dieser drei Voraussetzungen verlangt (Art 1 lit i FFH-RL): Die Art muss ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraums sein und auch langfristig bleiben, das natürliche Verbreitungsgebiet darf nicht in absehbarer Zeit abnehmen und es muss ausreichend Lebensraum vorhanden sein, um langfristig ein Überleben der Population zu sichern (Rn 56). Auch wenn die Situation gegenwärtig zufriedenstellend ist, muss sichergestellt werden, dass sie auch dauerhaft so bleibt. Nur dann liegt ein günstiger Erhaltungszustand vor (Rn 57).
Erhaltungszustand muss national und örtlich eingestuft werden
Der Erhaltungszustand ist in erster Linie und zwangsläufig auf örtlicher und nationaler Ebene zu bewerten. Ein ungünstiger Erhaltungszustand im Hoheitsgebiet eines MS darf nicht durch eine grenzüberschreitende Gesamtbewertung, aus der sich ein günstiger Erhaltungszustand ergeben würde, verschleiert werden (Rn 47 mit Verweis auf die Rs WWF Österreich ua, C-601/22). Das gilt auch im Rahmen von Art 14 FFH-RL (Rn 48).
Für die Feststellung, ob der Erhaltungszustand einer Art im Hoheitsgebiet eines MS günstig ist, können aber Daten über die Population in anderen MS oder auch in Drittländern maßgeblich sein (Rn 52). Das gilt insbesondere dann, wenn die Wolfpopulation des MS zu einer Population gehört, die sich über das Hoheitsgebiet anderer Staaten erstreckt. Informationen über die Maßnahmen der anderen Staaten können notwendig sein, um sich zu vergewissern, dass die geplante Maßnahme mit der Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands im eigenen Hoheitsgebiet vereinbar ist (Rn 64).
Einstufung nach IUCN als gefährdet schließt günstigen Erhaltungszustand nicht aus
Der EuGH stellt außerdem klar, dass die Bestimmungen der FFH-RL zum günstigen Erhaltungszustand keinen Bezug auf die Rote Liste der IUCN nehmen. Die Daten, die zur Einstufung einer Art in die Rote Liste geführt haben, können zwar zu den wissenschaftlichen Daten gehören, die bei der Bewertung des Erhaltungszustands zu berücksichtigen sind. Das Aufscheinen in der Roten Liste schließt aber nicht aus, dass der Erhaltungszustand in dem Hoheitsgebiet des jeweiligen MS günstig ist. Ausschlaggebend dafür sind die drei kumulativen Voraussetzungen in Art 1 lit i FFH-RL (Rn 51).
Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur schließen Pflicht, günstigen Erhaltungszustand herzustellen, nicht aus
Wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Anforderungen können bei der Bewertung des Erhaltungszustands berücksichtigt werden, sofern sie die Verbreitung und Größe der Population langfristig beeinflussen (Rn 68). Erfüllt eine Art jedoch nicht die drei kumulativen Kriterien des Art 1 lit i FFH-RL, kann der Erhaltungszustand nicht allein aufgrund solcher Anforderungen als günstig gelten (Rn 69). Diese Aspekte entbinden die MS daher nicht von der Pflicht, sicherzustellen, dass Entnahmen mit einem günstigen Erhaltungszustand vereinbar sind (Rn 70).
Autorin Mag.a Marlene Schaffer ist Umweltjuristin bei ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung, einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist das Artenschutzrecht.