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Aktuelle Judikatur mit Umweltrechtsbezug

Historie Die höchst umstrittene Causa um die Genehmigung eines kleinen Wasserkraftwerks bei der Schwarzen Sulm ist seit vergangenem Mittwoch um eine weitere Entscheidung reicher.

Zur Erinnerung:

– 2007 wurde der Kraftwerksbau vom steirischen LH bewilligt. Bereits im Oktober desselben Jahres richtete die Europäische Kommission ein Mahnschreiben an die Republik Österreich, indem der Bewilligungsbescheid mit Art 4 Abs 7 der der RL 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Wasserrahmenrichtlinie; kurz: WRRL, ABl L 2000/327, 1) für unvereinbar erachtet wurde, da keine hinreichende vorherige Prüfung im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot vorgenommen worden sei.

– 2009 wurde die Genehmigung in der zweiten Instanz vom BMLFUW wieder aufgehoben, da kein öffentliches Interesse am Kraftwerk iSd § 104a WRG bestehe. Daraufhin wurde das Vertragsverletzungsverfahren von der Kommission eingestellt.

– Im März 2012 erklärte jedoch der VfGH (G 126/11-12) das Berufungsrecht des wasserwirtschaftlichen Planungsorgans (WWPO) für verfassungswidrig. Folglich wurde die zweitinstanzliche Entscheidung des BMLFUW, da er sich auf eine verfassungswidrige Bestimmung stützte, aufgehoben und wurde der erstinstanzliche Bewilligungsbescheid rechtskräftig. Im Juli 2012 leitete der LH ein wasserrechtliches Überprüfungsverfahren gemäß § 21a WRG ein, um die Voraussetzungen für die Bewilligung noch einmal zu überprüfen und ggf die ursprüngliche Bewilligung an den Stand der Technik anzupassen, wobei erste Ergebnisse für 2014 angekündigt wurden.

– Wegen der (wieder) gültigen Genehmigung richtete die Kommission im April 2013 erneut ein Mahnschreiben an die Republik Österreich, in dem sie ihr vorwarf, gegen Art 4 Abs 1 der WRRL zu verstoßen und für das Vorhaben „Kraftwerk Schwarze Sulm – Ausbaustufe A“ die in Art 4 Abs 7 WRRL vorgesehene Ausnahmeregelung zum Verschlechterungsverbot nicht ordnungsgemäß angewandt zu haben. Im September 2013 bestätigte der LH den Bescheid von 2007 und stellte fest, dass der Oberflächenwasserzustand der Schwarzen Sulm schon vor der Aufnahme des streitigen Vorhabens als „gut“ und nicht mehr als „sehr gut“ einzustufen sei und dass das Vorhaben aufgrund dieser Herabstufung umgesetzt werden könne, ohne dass eine Ausnahme vom Verschlechterungsverbot erforderlich sei. Die daraufhin im Oktober 2013 vom BMFUW beim VwGH eingebrachte Amtsbeschwerde ist noch anhängig.

– Da die von Österreich vorgebrachten Argumente die Europäische Kommission nicht überzeugen konnten, brachte sie schließlich 2014 eine Vertragsverletzungsklage gegen Österreich beim EuGH ein. Darin beantragte sie, festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art 4 Abs 3 EUV iVm mit Art 288 AEUV verstoßen hat, dass sie Art 4 Abs 1 iVm Art 4 Abs 7 WRRL ordnungsgemäß angewandt hat. Die Kommission wirft der Republik Österreich im Wesentlichen vor, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art 4 Abs 1 und 7 WRRL, dass sie den Bau eines Wasserkraftwerks an der Schwarzen Sulm bewilligt habe.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH befand die Klage der Kommission – entgegen der Auffassung Österreichs – für zulässig.

Für die inhaltliche Beurteilung war für den EuGH nur die Einstufung des Zustands des Oberflächenwasserkörpers der Schwarzen Sulm, wie sie im Bescheid von 2007 vorgenommen worden ist, relevant (und nicht auch der Bescheid von 2013). Der Gerichtshof wies in diesem Zusammenhang auf seine Vorjudikatur hin, wonach die Verpflichtungen nach Art 4 WRRL als solche erst seit dem 22. Dezember 2009 unmittelbar anwendbar sind. Dennoch dürfen die MGS bereits während der Umsetzungsfrist keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden. Von dieser Unterlassungspflicht sei der Erlass jeder allgemeinen und speziellen Maßnahme erfasst, die eine solche negative Wirkung entfalten kann.

Der Gerichtshof prüfte daher in weiterer Folge, ob das Vorhaben „Kraftwerksbau“ geeignet ist, zu einer Verschlechterung des Zustands des Oberflächenwasserkörpers der Schwarzen Sulm zu führen und, falls dies zu bejahen ist, ob eine solche Verschlechterung unter die Ausnahme vom Verschlechterungsverbot der WRRL fallen kann:

Für das konkrete Vorhaben gelte die Art 4 WRRL aufgestellte Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Wasserkörper. Der EuGH rief seine bereits im Urteil vom 1. Juli 2015, C-461/13, Rn 69 vertretene Auffassung in Erinnerung, wonach eine Verschlechterung dieses Zustand, welcher gemäß den ökologischen Qualitätsquotienten bestimmt, die für jede Kategorie von Oberflächengewässern auf einer fünfstufigen Skala mittels eines diese verschiedenen Klassen trennenden Grenzwerts der biologischen Qualitätskomponenten, nämlich „sehr gut“, „gut“, „mäßig“, „unbefriedigend“ und „schlecht“, verteilt werden, dann vorliege, sobald sich der Zustand mindestens einer Qualitätskomponente im Sinne ihres Anhangs V um eine Klasse verschlechtert, auch wenn diese Verschlechterung nicht zu einer Verschlechterung der Einstufung des Oberflächenwasserkörpers insgesamt führt. Bei Einordnung der betreffenden Qualitätskomponente bereits in der niedrigsten Klasse, stelle jedoch jede Verschlechterung dieser Komponente eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers dar. Im vorliegenden Fall ergebe sich aus den vorgelegten Akten, dass sich die für den Bau des von dem streitigen Vorhaben betroffenen Wasserkraftwerks erforderlichen Arbeiten auf den Lauf der Schwarzen Sulm über eine Länge von acht Kilometern auswirken und dass das streitige Vorhaben eine Verschlechterung des Zustands des Oberflächenwasserkörpers der Schwarzen Sulm, wie er durch den Bescheid von 2007 bewertet worden ist, zur Folge haben kann. Bezüglich der Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot gemäß Art 4 Abs 7 WRRL betonte der EuGH erneut, dass die MGS verpflichtet seien, die Genehmigung eines Vorhabens zu versagen, wenn es geeignet ist, den Zustand des fraglichen Wasserkörpers zu verschlechtern oder die Erreichung eines guten Zustands der Oberflächenwasserkörper zu gefährden, es sei denn, das Vorhaben fällt unter eine der in Art 4 Abs 7 WRRL vorgesehenen Ausnahmen. Deshalb prüfte der Gerichtshof, (1.) ob bei Erlass des fraglichen Genehmigungsbescheid von 2007 alle praktikablen Vorkehrungen getroffen wurden, um die negativen Auswirkungen des streitigen Vorhabens auf den Zustand des betroffenen Wasserkörpers zu mindern und (2.) ob die Gründe für dieses Vorhaben im Einzelnen dargelegt wurden sowie (3.) ob das Vorhaben von übergeordnetem öffentlichem Interesse ist und/oder der Nutzen, den die Verwirklichung der in Art 4 Abs 1 WRRL genannten Ziele für die Umwelt und die Gesellschaft hat, durch den Nutzen der Umsetzung dieses Vorhabens für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung übertroffen wird sowie (4.) ob die nutzbringenden Ziele, denen das Vorhaben dienen soll, aus Gründen der technischen Durchführbarkeit oder aufgrund unverhältnismäßiger Kosten nicht durch Mittel, die eine wesentlich bessere Umweltoption darstellen, erreicht werden können. Punkt (2.) erachtete der EuGH eindeutig für erfüllt, da im Bescheid von 2007 die Gründe des streitigen Vorhabens, dessen Auswirkungen auf die Umwelt und die vermeintlichen Vorteile dieses Vorhabens ausführlich dargelegt worden seien. Auch könne der Bau eines derartigen Wasserkraftwerks tatsächlich im übergeordneten öffentlichen Interesse liegen und sei den MGS bei der Prüfung der Frage, ob ein konkretes Vorhaben in einem solchen Interesse liegt, ein gewisses Ermessen einzuräumen. Im Rahmen dieses Ermessens konnte die Republik Österreich (insb. iHa die Energiepolitik der Union und die hohe Priorität die der Förderung erneuerbarer Energiequellen in der Union beigemessen werde) zu Recht annehmen, dass das streitige Vorhaben, das auf die Förderung erneuerbarer Energien durch Wasserkraft abziele, im übergeordneten öffentlichen Interesse liege (Punkt 3.). Zudem befand der Gerichtshof, dass die nationalen Behörden im vorliegenden Fall den erwarteten Nutzen des streitigen Vorhabens und die sich daraus ergebende Verschlechterung des Zustands des Oberflächenwasserkörpers der Schwarzen Sulm gegeneinander abgewogen haben und auf der Grundlage dieser Abwägung angenommen werden durfte, dass dieses Vorhaben zu einem Nutzen für die nachhaltige Entwicklung führe, dass alle praktikablen Vorkehrungen getroffen worden seien, um die negativen Auswirkungen dieses Vorhabens auf den Zustand des Oberflächenwasserkörpers zu mindern, und dass die Ziele dieses Vorhabens nicht aus Gründen der technischen Durchführbarkeit oder aufgrund unverhältnismäßiger Kosten durch andere Mittel, die eine wesentlich bessere Umweltoption darstellten, erreicht werden könnten (Punkt 1 und 3). Der steirische LH habe das streitige Vorhaben insgesamt (dh einschließlich seiner unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen auf die Ziele der WRRL) geprüft und seine Vorteile und negative Auswirkungen auf den Zustand des Oberflächenwasserkörpers der Schwarzen Sulm gegeneinander abgewogen. Insb habe er im Rahmen dieser Prüfung die sehr hoher ökologischer Qualität des Flusses berücksichtigt, aber angenommen, dass angesichts der verschiedenen von dem Vorhaben zu erwartenden Vorteile die damit verbundenen öffentlichen Interessen eindeutig die Auswirkungen für das Ziel der Vermeidung einer Verschlechterung übersteigen. Er habe sich nicht bloß in abstrakter Weise auf das übergeordnete allgemeine Interesse gestützt, das die Erzeugung erneuerbarer Energien darstellt, sondern seiner Schlussfolgerung, dass die Bedingungen für eine Ausnahme vom Verschlechterungsverbot erfüllt seien, eine detaillierte und spezifische wissenschaftliche Prüfung dieses Vorhabens zugrunde gelegt. Der LH habe sämtliche in Art 4 Abs 7 WRRL vorgesehene Bedingungen berücksichtigt und konnte zu Recht annehmen, dass diese erfüllt sind. Das Vorbringen der Kommission, wonach die Wasserkraft nur eine neben anderen erneuerbaren Energien sei und dass die Energie, die von dem Wasserkraftwerk, auf das sich das streitige Vorhaben beziehe, erzeugt werde, nur geringfügige Auswirkungen auf die Stromversorgung sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene habe, konnte mangels spezifischer Rügen (bspw konkrete Darlegungen, worin die Lückenhaftigkeit und Fehlerhaftigkeit des Gutachtens, dessen Schlussfolgerungen in den Bescheid von 2007 aufgenommen worden sind, aufgrund einer unzureichenden Prüfung der ökologischen Auswirkungen dieses Vorhabens auf den Zustand des Oberflächenwasserkörpers der Schwarzen Sulm oder die fehlende Verlässlichkeit, mit der die Vorhersagen der Wasserkrafterzeugung behaftet seien, besteht) und mangels Vergleichskriterien, anhand deren die geplante Elektrizitätserzeugung im Verhältnis zum Umfang dieses Vorhabens als gering eingestuft werden könnte, vermochte die Vertragsverletzung nicht darzulegen. Folglich wurde die Klage der Kommission vom EuGH als unbegründet abgewiesen.

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