In der Herbstsession des VfGH sind zwei berichtenswerte Erkenntnisse zum UVP-G 2000 erlassen worden:\ \ 1.) 20.09.2011, B 898/11: Zurückweisung der Beschwerde einer anerkannten Umweltorganisation (§ 19 Abs 7) gegen die Genehmigung einer Hochleistungsstrecke nach dem UVP-G (§ 23b) mangels Legitimation. Dass Umweltorganisationen nach § 19 Abs 10 UVP-G 2000 nicht zur Erhebung einer Beschwerde an den VfGH berechtigt sind, bedarf an sich keiner weiteren Ausführung (vgl auch die Erwägungen des Gerichtshofes im Anlassfall: „1.1. Zur Beschwerdeerhebung vor dem Verfassungsgerichtshof sind nur physische und juristische Personen sowie Gebilde legitimiert, denen durch die Rechtsordnung zumindest Teilrechtsfähigkeit zuerkannt wird (vgl. VfSlg. 3193/1957 und – zur Frage der Beschwerdelegitimation einer Bürgerinitiative in einem konzentrierten Genehmigungsverfahren nach dem 2. Abschnitt des UVP-G 2000 – VfSlg. 17.389/2004).„\ \ Interessant ist das Erk insofern, betraf es doch die Genehmigung des Bauvorhabens Semmeringbasistunnel neu.\ \ 2.) Angertalschlucht, Brennerbasistunnel Teil IV: In vier Verfahren (19.09.2011, B 741/11, B 742/11; 05.10.2011, B 824/11, B 823/11) hatte der VfGH Gelegenheit, seine bisherige Rechtsauffassung anlässlich einer Beschwerde zu bestätigen. Die BMVIT hatte im Anlassfall in Bindung an den Beschluss des VwGH (30. September 2010, 2010/03/0051, 2010/03/0055) einem Antrag auf Wiedereinsetzung (Wiederaufnahme des UVP-Genehmigungsverfahren) stattgegeben und ausgesprochen, dass die Berufung an den US zulässig sei. Gegen diese Sachentscheidung rief eine Verfahrenspartei den VfGH an und machte unter anderem – erfolgreich – einen Verstoß gegen Art 83 Abs 2 B-VG geltend. Der VfGH führte unter Rekurs auf seine Entscheidung vom 28.6.2011, B 254/11 aus:\ \ „4. Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter kann sich auch aus einer im Zusammenhang mit dem Unionsrecht stehenden Gesetzesanwendung durch die belangte Behörde ergeben. Der Verfassungsgerichtshof hat die Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Unionsrecht freilich nur dann selbst zu beurteilen, wenn diese Frage „derart offenkundig“ ist, dass „keinerlei Raum für vernünftige Zweifel“ bleibt (EuGH 6.10.1982, Rs. 283/81, CILFIT, Slg. 1982, I-3415, Rz 16). In anderen, keinen offenkundigen Widerspruch zum Unionsrecht zu Tage bringenden Fällen jedoch stellt ein Verstoß gegen Unionsrecht keine Verfassungsverletzung dar und ist dieser daher vom Verfassungsgerichtshof nicht aufzugreifen (VfSlg. 14.886/1997, 15.583/1999).\ \ Vor diesem Hintergrund kann eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auch darin liegen, dass die belangte Behörde zu Unrecht einen offenkundigen Widerspruch zwischen innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften und Unionsrecht verneint oder aber umgekehrt einen solchen annimmt und in der Folge Zuständigkeitsvorschriften des innerstaatlichen Rechts unangewendet lässt, obwohl ein Widerspruch zum Unionsrecht offenkundig auszuschließen ist.\ \ 5. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil der belangten Behörde insofern ein verfassungsrechtlich relevanter Vollzugsfehler anzulasten ist, als diese unter Berufung auf das Recht der Europäischen Union die in §40 Abs1 UVP-G 2000 und §5 USG vorgesehene Beschränkung der Zuständigkeit des Unabhängigen Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnitts des UVP-G 2000 nicht anwendet, dementsprechend das Bestehen eines Instanzenzugs an den Unabhängigen Umweltsenat annimmt und infolgedessen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist ausspricht.\ \ 5.1. Die belangte Behörde nimmt an, dass in Angelegenheiten, in denen unionsrechtlich die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung geboten sei, ein Tribunal iSd Art6 EMRK mit voller Kognition zu entscheiden habe und der Verwaltungsgerichtshof dieses Erfordernis auf Grund seiner eingeschränkten Kognitionsbefugnis nicht erfülle. Mit dieser Annahme ist sie nicht im Recht.\ \ 5.2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mit näherer Begründung in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2011, B254/11, ausgesprochen hat, erfüllt der Verwaltungsgerichtshof bei verfassungs- und konventionskonformer Wahrnehmung seiner gesetzlichen Befugnisse zur Sachverhaltskontrolle die Anforderungen an ein Gericht mit hinreichender Kontrollbefugnis in Tatsachenfragen iSd Art6 Abs1 EMRK und iSd Art47 Abs2 Grundrechtecharta (vgl. EGMR 21.9.1993, Fall Zumtobel, Appl. 12.235/86, ÖJZ 1993, 782, uvam., jüngst EGMR 10.12.2009, Fall Koottummel, Appl. 49.616/06; vgl. VfSlg. 15.427/1999, 18.309/2007, 18.446/2008, 18.927/2009; vgl. auch EuGH 21.1.1999, Rs. C-120/97, Upjohn Ltd., Slg. 1999 I-00223, und 22.5.2003, Rs. C-462/99, Connect Austria, Slg. 2003 I-05197). Insbesondere verwehrt §41 Abs1 VwGG dem Verwaltungsgerichtshof in Verfahren nach Art131 Abs1 Z1 B-VG die Überprüfung von Tatsachenfeststellungen und -annahmen der Behörde nicht. Die Vorschriften des §41 Abs1 iVm §42 Abs3 VwGG ermöglichen es dem Verwaltungsgerichtshof, in einer mit dem gerichtlichen Verfahren vergleichbaren und wirksamen Weise ausreichende Tatsachengrundlagen zu erarbeiten, um die maßgebliche Rechtsfrage beurteilen zu können, indem er sich nach seiner eigenen Rechtsprechung zu einer – wenngleich beschränkten – Kontrolle der Beweiswürdigung, im Regelfall aber nicht zu eigenen Beweisaufnahmen befugt sieht (vgl. zB VwGH 14.12.1995, 94/18/0398; 17.12.1997, 96/21/0628; 25.5.2005, 2003/17/0257; nähere Ausführungen in VfGH 28.6.2011, B254/11).\ \ 5.3. Zur Erfüllung des Gebots wirksamen Rechtsschutzes ist daher keine Vorschrift des Unionsrechts unmittelbar anzuwenden, welche die Zuständigkeit einer unabhängigen Verwaltungsbehörde herbeiführen und jene des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über die Beschwerde gegen den Genehmigungsbescheid der belangten Behörde im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren beseitigen würde.\ \ V. 1. Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen. Angesichts dessen hätte die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag der mitbeteiligten Partei zurückweisen müssen. Dadurch, dass sie die Wiedereinsetzung bewilligt und auf diese Weise eine Sachentscheidung getroffen hat, weil sie im angefochtenen Bescheid zu Unrecht die gesetzlich vorgesehene Beschränkung der Zuständigkeit des Unabhängigen Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnitts des UVP-G nicht angewendet hat und infolgedessen von der Möglichkeit einer Berufung an den Unabhängigen Umweltsenat ausgegangen ist, hat sie eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen (s. VfGH 28.6.2011, B254/11).“\ \ Diese Entscheidung ist im Ergebnis nicht überraschend; ihr ist nichts hinzuzufügen. Was bleibt? Klarheit einerseits, Zweifel andererseits. Überzeugen kann das Ergebnis des „Gesamtverfahrenskomplexes“ Brennerbasistunnel nach wie vor nicht in jeder Hinsicht (vgl ergänzend die A5-E des VwGH 24.8.2011, 2010/06/0002 [mAnm Bachl]). Bei Gesamtbetrachtung aus unions- und verfassungsrechtlicher Perspektive sind nach wie vor mehrere zentrale Fragen offen (ua die desöfteren diskutierte Frage der Nichtvorlage an den EuGH…; lesenswert in diesem Zusammenhang Granner/Schlögl, Roma locuta, causa finita? Anmerkungen zu VfGH 28.6.2011, B 254/11 [Brenner Basistunnel]), auf www.spektrum-der-rechtswissenschaft.at).
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