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Keine uneingeschränkte Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden – Vorabentscheidungsver

Zur Erinnerung: Der VwGH hat in einem Verfahren betreffend die Erteilung einer betriebsanlagenrechtlichen Genehmigung für ein Fachmarktzentrum in Kärnten Bedenken geäußert, ob es sich zu von einer Nachbarin geäußerten Bedenken an einem UVP-Feststellungsverfahren (Ergebnis: keine UVP durchzuführen) die Gewerbebehörde und/oder der damalige UVS so einfach machen können, auf die Rechtskraft und die Bindungswirkung des Feststellungsbescheides zu verweisen. Die Nachbarin war ja immerhin gar nicht Partei des UVP-Feststellungsverfahrens. Der VwGH hat daher dem EuGH folgende Fragen zur Vorentscheidung vorgelegt: “Steht das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92, insbesondere deren Art. 11, einer nationalen Rechtslage entgegen, nach der ein Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass bei einem bestimmten Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung auch für Nachbarn, denen im vorangegangenen Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam, entfaltet, und diesen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren entgegengehalten werden kann, auch wenn diese die Möglichkeit haben, ihre Einwendungen gegen das Vorhaben in diesen Genehmigungsverfahren zu erheben (d. h. im Ausgangsverfahren dahin gehend, dass durch die Auswirkungen des Vorhabens ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet werden oder sie durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise unzumutbar belästigt werden)? Verlangt es das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92 im Wege ihrer unmittelbaren Anwendung, die in der Frage 1 dargestellte Bindungswirkung zu verneinen?” Bereits im November 2014 hat Wolfgang Berger hier die Schlussanträge von Generalanwältin Kokott kommentiert, nach der es – vereinfacht ausgedrückt – ausreichen würde, wenn der Rechtsschutz für die betroffene Öffentlichkeit nach der UVP-RL auf eine inzidierte Rüge im Zusammenhang mit der Klage gegen eine Genehmigung wäre. Nunmehr liegt die Entscheidung des EuGH vor (EuGH 16.04.2015, Rs C-570/13). Dieser arbeitet zunächst heraus, dass ein Nachbar iSd GewO zur betroffenen Öffentlichkeit im UVP-rechtlichen Sinne zählt. Da Nachbarn iSd GewO im Verfahren zur Feststellung der Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung aber nicht Partei sind, können sie den UVP-Feststellungsbescheid auch nicht im Rahmen einer etwaigen Beschwerde gegen den Genehmigungsbescheid anfechten. Indem das UVP-G 2000 das Beschwerderecht gegen die Entscheidungen, mit denen festgestellt wird, ob die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Projekt erforderlich ist, auf die Projektwerber/Projektwerberinnen, die mitwirkenden Behörden, den Umweltanwalt und die Standortgemeinde beschränkt, nimmt es einer Vielzahl von Privatpersonen, insbesondere auch den gewerberechtlichen Nachbarn dieses Recht. Dieser nahezu vollständige Ausschluss beschränkt die Tragweite des Art 11 Abs 1 der UVP-RL und ist daher nicht mit der Richtlinie vereinbar. Folglich darf eine auf der Grundlage einer solchen nationalen Regelung getroffene Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, einen zur betroffenen Öffentlichkeit im Sinne der UVP-RL gehörenden Einzelnen, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein ausreichendes Interesse oder gegebenenfalls eine Rechtsverletzung erfüllt, nicht daran hindern, diese Entscheidung im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten (Rn 42ff). Das alles soll aber die Mitgliedstaaten nicht daran hindern ein System zu schaffen, in dem dann halt in dem einem UVP-Feststellungsverfahren nachfolgenden Genehmigungsverfahren die Umweltverträglichkeit geprüft wird (dann aber nicht durch die UVP-Behörde), solange nur die Anforderungen der Art 5 bis 10 der UVP-RL erfüllt sind (was vermutlich auf einer Zuständigkeitsprüfungsebene als Vorfrage für die Bejahung der eigenen Zuständigkeit der Materienbehörde zu erfolgen hat). Oder wörtlich: “Nach alledem sind die Vorlagefragen dahin zu beantworten, dass Art. 11 der Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen – wonach eine Verwaltungsentscheidung, mit der festgestellt wird, dass für ein Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung für Nachbarn hat, die vom Recht auf Erhebung einer Beschwerde gegen diese Entscheidung ausgeschlossen sind – entgegensteht, sofern diese Nachbarn, die zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie gehören, die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf das „ausreichende Interesse“ oder die „Rechtsverletzung“ erfüllen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung in der bei ihm anhängigen Rechtssache erfüllt ist. Ist dies der Fall, muss das vorlegende Gericht feststellen, dass eine Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, gegenüber diesen Nachbarn keine Bindungswirkung hat.” Damit ist das Ende der uneingeschränkten Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden für nachfolgende Genehmigungsverfahren jedenfalls einmal besiegelt. Im Ergebnis wird dies ohne gesetzlicher Änderung des Parteienkreises des UVP-Feststellungsverfahrens vor allem zusätzliche Belastung für alle Nicht-UVP-Behörden bedeutet, werden sie sich doch hinkünftig bei größeren Vorhaben wohl auch mit der UVP-pflichtigkeit dieser auseinandersetzen müssen – wofür freilich profunde Kenntnisse in Bereichen von Nöten sein werden, die nicht zur bisherigen Vollzugskernkompetenz der Materiebehörden zählen. Man wird nun wohl zunächst den Ausgang des Anlassverfahrens abwarten müssen. Legistischer Handlungsbedarf ist aber jetzt schon nicht von der Hand zu weisen. Möglicherweise auch in Materien, die nicht alle in den Zuständigkeitsbereich des BMLFUW fallen. Zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für nicht UVP-pflichtige Projekte wird das zweifelsfrei nicht beitragen. Welchen Ansatz hier der Gesetzgeber finden wird darf jetzt schon als spannendste Frage des Anlagenrechts der kommenden Jahre bezeichnet werden. Ideen und Modelle gäbe es ja genug: Die Einräumung der Stellung der UVP-Behörde als mitwirkende Behörde in materiegesetzlichen Verfahren (sichert Know How) oder Teilbescheide nach dem Modell eines Teilurteils im Zivilrecht zur Frage der Zuständigkeit (könnte allzu lange Verfahren verhindern) sind dabei nur als zwei mögliche Ansätze zu nennen. Natürlich könnte man sich auch die Frage stellen, in wie vielen unterschiedlichen Materieverfahren hinkünftig überhaupt die Frage der UVP-Pflicht zu lösen sein könnte; oder hörte ich aus dem Hintergrund an dieser Stelle den zaghaften Ruf nach einem einheitlichen Anlagenrecht …

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