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Klimaklage gegen Shell erfolgreich

Den Haag hat wieder einmal Klimaklagen-Geschichte geschrieben: nach der Rechtssache Urgenda diesmal im Fall Milieudefensie et al vs Royal Dutch Shell. Am 26. Mai 2021 fällte das Bezirksgericht Den Haag ein Urteil (Rechtbank Den Haag, 26. 5. 2021, C/09/571932 / HA ZA 19-379, ECLI:NL:RBDHA:2021:5339; abrufbar hier, ein Dankeschön an David von der Thannen für den Hinweis) über eine Verbandsklage von sieben Umweltorganisationen – darunter die Erstklägerin Verenigung Milieudefensie, die auch 17.379 Einzelpersonen vertrat, sowie Greenpeace Nederland – gegen die Royal Dutch Shell Limited Company als Muttergesellschaft des Ölkonzerns Shell. Es ist – soweit überblickbar – die erste erfolgreiche Klimaklage gegen eine juristische Person des Privatrechts.

In seiner ausführlich begründeten Entscheidung stellte das Gericht zuerst fest, dass Shell ein wichtiger Akteur auf dem weltweiten Markt der fossilen Brennstoffe und damit für erhebliche CO2-Emissionen auf der ganzen Welt verantwortlich sei. Die CO2-Emissionen des Shell-Konzerns würden jene vieler Staaten übersteigen, darunter auch die der Niederlande. Diese globalen CO2-Emissionen des Shell-Konzerns würden unstrittig zur globalen Erwärmung und zum Klimawandel in den Niederlanden und der (teilweise in den Niederlanden befindlichen) Wattenmeerregion beitragen. Der resultierende Temperaturanstieg in den Niederlanden (ca 1,7 Grad über vorindustriellem Niveau) habe sich bisher etwa doppelt so schnell entwickelt wie der globale Durchschnitt.

Bei der rechtlichen Herleitung der Reduktionsverpflichtung stützte sich das Gericht dann auf eine ungeschriebene Sorgfaltspflicht aus Buch 6 Abschnitt 162 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches. Zur Auslegung dieser Sorgfaltspflicht zog es 14 verschiedene Gesichtspunkte heran, darunter die Folgen der CO2-Emissionen durch Shell für die Niederlande und die Wattenmeerregion, das Recht auf Leben (Art 2 EMRK, Art 6 ICCPR) und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK, Art 17 ICCPR) der niederländischen Einwohner*innen und der Bewohner*innen der Wattenmeerregion, die UN-Leitprinzipien, das europäische Emissionshandelssystem und auch die Verhältnismäßigkeit der Reduktionsverpflichtung von Shell.

All dies, so das Gericht, „rechtfertigt eine Reduktionsverpflichtung […] für den gesamten, weltweit agierenden Shell-Konzern. Das zwingende Gemeinwohl, dem die Einhaltung der Reduktionsverpflichtung dient, überwiegt die negativen Folgen, die [Shell] durch die Reduktionsverpflichtung entstehen könnten, und auch die kommerziellen Interessen des Shell-Konzerns […]. Aufgrund der schwerwiegenden Bedrohungen und Risiken für die Menschenrechte der niederländischen Einwohner[*innen] und der Bewohner[*innen] des Wattenmeergebiets können auch private Unternehmen wie [Shell] dazu verpflichtet werden, drastische Maßnahmen zu ergreifen und finanzielle Opfer zu bringen, um den CO2-Ausstoß zu begrenzen […].“ Dabei stehe es Shell frei, wie es dieser Verpflichtung nachkommt. Die Berechnungsgrundlage ist weit: Miteinbezogen werden direkte Emissionen aus Quellen, die sich unter der Kontrolle des Konzerns befinden, aber auch indirekte Emissionen aus Quellen Dritter, die dem Konzern zurechenbar sind, zB an Shell-Tankstellen tankende Autofahrer*innen.

Das Gericht erklärte sein Urteil außerdem für vorläufig vollstreckbar. Dabei habe es in einer Interessenabwägung bedacht, dass die vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusses weitreichende Folgen für [Shell] haben kann, die später nur schwer rückgängig zu machen sind. Shell hat – wenig überraschend – Berufung angekündigt.

Verfahrensrechtlich handelte es sich bei der Klage der Umweltorganisationen um eine Verbandsklage gemäß Buch 3 Abschnitt 305a des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches, bei denen juristische Personen zur Wahrung gleichartiger Interessen anderer Personen Klage erheben können. Dabei seien die in erster Linie geltend gemachten Interessen der heutigen und zukünftigen Generationen der Weltbevölkerung mangels „gleichartiger Interessen“ nicht geeignet, eine Klagebefugnis zu begründen. Es gebe zu große Unterschiede, wann und in welcher Weise die Weltbevölkerung an verschiedenen Orten von der durch CO2-Emissionen verursachten Erderwärmung betroffen ist. Die in eventu verfolgten Interessen der gegenwärtigen und künftigen Generationen niederländischer Einwohner*innen und Bewohner*innen des Wattenmeergebiets dagegen seien sehr wohl für die Geltendmachung geeignet.

Die Anträge der 17.379 Einzelpersonen wurden aufgrund fehlenden individuellen Interesses zurückgewiesen, da ihre rechtliche Interessen bereits durch die Verbandsklage bedient wurden. Sie werden sich trotzdem über diesen Meilenstein im Kampf gegen den globalen Klimawandel gefreut haben: Das Bezirksgericht Den Haag hat den Weg dafür geebnet, neben Staaten auch emissionsträchtige Konzerne zur CO2-Reduktion zu verpflichten.

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