top of page

Kommission moniert mangelhafte Umsetzung des Art 9 Abs 3 der Aarhus-Konvention durch Österreich

Mahnschreiben der Kommission

Die Vertragsverletzungsverfahren im Umweltbereich gegen Österreich reißen nicht ab (vgl zB nur das Vertragsverletzungsverfahren Nr 2013/4018, C(2013) 7853 betreffend Anwendung der Wasserrahmen-RL 2000/60/EG). Mit Mahnschreiben vom 11.07.2014, C(2014)4883 final, eröffnete die Europäische Kommission gegen Österreich aufgrund einer 2013 bei ihr eingegangenen Beschwerde ein Verfahren wegen der mangelhaften Umsetzung des Art 9 Abs 3 der Aarhus-Konvention.

Dies kommt wohl in der Sache nicht sonderlich überraschend, hatte doch bereits das ACCC im Compliance-Verfahren ACCC/2008/48 einen Verstoß gegen Art 9 Abs 3 der Konvention feststellte,[1] da abgesehen von Angelegenheit, die unter das UVP- bzw IPPC-Regime fallen und den Rechtsschutzmöglichkeiten im Rahmen der Umwelthaftung, der Rechtschutz für NGOs im Umweltbereich laut ACCC in allen anderen Bereichen im Hinblick auf Art 9 Abs 3 der Konvention unzureichend sei.[2] Das ACCC empfahl Österreich bereits zu diesem Zeitpunkt, um die Compliance mit der Konvention herzustellen, die erforderlichen gesetzlichen und administrativen Maßnahmen in diesem Bereich zu treffen.[3] Überraschender ist möglicherweise die Wiederholung dieser „Ermahnung“ von Seiten der Union, da es sich bei der Aarhus-Konvention bekanntlich um ein völkerrechtliches Übereinkommen der UNECE handelt:

Hintergrund zur Umsetzungsverpflichtung Österreichs iHa Art 9 Abs 3 der Konvention und der diesbezüglichen „Kontrollkompetenz“ der Union

Die Aarhus-Konvention ist wie viele völkerrechtliche Verträge im Bereich des Umweltrechts ein „gemischtes Abkommen“ ( „mixed agreement“) und als solches integraler Bestandteil der Unionsrechtsordnung. Sowohl die Union als auch sämtliche Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien. Diese Tatsache ist insbesondere interessant, wenn es bspw um Fragen der Umsetzungsverpflichtung. Im Falle der Aarhus-Konvention ist die völkerrechtliche Verantwortlichkeit zulässiger Weise zwischen der Union und den Mitgliedstaaten aufgrund einer dementsprechenden Erklärung der Union (gem Art 19 Abs 5 der AK)[4] aufgeteilt. Die Mitgliedstaaten allein sind demnach ausschließlich für jene, nicht durch EU-Recht vordeterminierte Bereiche verantwortlich. Während hinsichtlich der ersten beiden Säulen der Aarhus-Konvention die Umsetzung durch Rechtsakte der Union erfolgte, wurde diese hinsichtlich der dritte Säule bislang nur zT[5] aktiv: Art 9 Abs 3 der Konvention bleibt bislang von der Union weitestgehend[6] ungeregelt und dies wird voraussichtlich auch noch länger so bleiben. Erst Mitte 2014 gab die EU-Kommission bekannt,[7] dass sie ihren aus dem Jahr 2003 stammenden Vorschlag für eine Richtlinie zum Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten[8] zurückgezogen habe und die Umsetzung der Aarhus-Konvention auf europäischer Ebene vorerst nicht weiter forcieren werde. (vgl diesbezüglichen Bericht Umweltrechtsblog von N. Raschauer XXXLinkXXX) Folglich liegt die Umsetzungsverpflichtung mangels Tätigwerden der Union im Bereich des Art 9 Abs 3 bei den Mitgliedstaaten. Aber auch national fehlt es bislang noch an einer Umsetzung des Art 9 Abs 3 der Aarhus-Konvention, was auch bereits 2012 durch das ACCC[9] und in diversen Studien[10] klargestellt wurde. Diesbezüglich im Parlament eingebrachte Entschließungsanträge[11] zur vollständigen Umsetzung der Aarhus-Konvention waren aber bislang noch nicht von Erfolg gekrönt.

Dem Einwand der Republik Österreich, die Kommission verfüge über keine Zuständigkeit, Österreich zur Einhaltung der Verpflichtung von Art 9 Abs 3 AK aufzufordern, entgegnete die Kommission im Mahnschreiben indem sie darauf verwies, dass sie „als Hüterin der Verträge gemäß Artikel 17 EUV berechtigt [sei], sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten ihren internationalen Verpflichtungen aus den Übereinkommen, denen die EU ebenfalls als Vertragspartei beigetreten ist, nachkommen, da solche Übereinkommen nach Artikel 216 Abs 2 AEUV Teil der EU Rechtsordnung sind. Genügt ein Mitgliedstaat den Anforderungen eines Übereinkommens nicht, […] so ist die Kommission berechtigt, ein Verfahren nach Art 258 TFEU [AEUV, Anm.] einzuleiten, auch wenn wie im gegenständlichen Fall ein gemischtes Abkommen vorliegt, […].“ Diese Annahme deckt sich wohl mit der Auffassung des EuGH (07.10.2004, C-239/03, Rz 23 ff), wonach dem Gerichtshof auch die Auslegung und Beurteilung der Einhaltung von Anforderungen obliegt, die in einem gemischten Abkommen festgelegt wurden, welches einen Bereich betrifft, der „weitgehend“ durch EU-Recht abgedeckt wird.

Kernaussagen des Mahnschreibens

Zur Erinnerung: Art 9 Abs 3 der Konvention verlangt, dass jede Vertragspartei sicherstellt, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.

Die Kommission vertritt vor diesem Hintergrund die Auffassung, dass Art 9 Abs 3 der Aarhus-Konvention so ausgelegt und angewandt werden muss, dass die nützliche Wirkung (effet utile) des europäischen Umweltrechts, welches in wichtigen Bereichen wie im Naturschutz, Wasserrecht, Luftpolitik oder Abfallbeseitigung durch zumeist Richtlinien der Union harmonisiert wurde, gewährleistet wird. Dem kommen die Mitgliedstaaten erst dann nach, wenn sie die Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung vor einem nationalen Gericht im Falle einer Verletzung dieser Vorschriften vorsehen.

Auffallend ist, dass während bislang hauptsächlich die fehlende Beschwerderechte von NGOs in Umweltverfahren an den Pranger gestellt wurde, die Kommission auch auf die fehlende Rechtschutzmöglichkeit von Einzelpersonen – insbesondere „Nachbarn“ hinweist. So sei es beispielsweise Einzelpersonen nicht möglich, den Verstoß eines Projekts gegen das Naturschutzrecht vor einem Gericht geltend zu machen, da das österreichische Recht im Bereich des Naturschutzes Einzelpersonen keine Parteistellung einräumt.

Das von Österreich vorgebrachte Argument der Institution des Umweltanwalts, durch den die Interessen der Öffentlichkeit geschützt werden sollen, wurde von der Kommission wie bereits durch das ACCC (in ACCC/C/2010/48) verworfen. Dies wohl zu Recht, da der Umweltanwalt – mag er auch ein nützliches Instrument zum Schutz der Umwelt sein – entsprechend der mE zutreffenden hA[12] als staatliches Organ[13] nicht dem Kreis der Öffentlichkeit iSd Aarhus-Konvention, auf die aber Art 9 Abs 3 der Konvention abstellt, angehört.

Hinsichtlich des Ermessenspielraums, den Art 9 Abs 3 der Konvention den Vertragsparteien unzweifelhaft einräumt, hielt die Kommission unter Verweis auf ein EuGH Urteil (C-240/09) fest, dass die Ausübung dieses Ermessens nicht dazu führen dürfe, dass der Öffentlichkeit, insbesondere NGOs und Einzelpersonen, weitgehend die Möglichkeit abgesprochen wird, die gerichtliche Überprüfung von Handlungen und Unterlassungen im Zusammenhang mit der Anwendung von (europäischen) Umweltrichtlinien zu beantragen. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen: Es besteht zwar unzweifelhaft ein relativ großer Umsetzungsspielraum hinsichtlich der Festlegung, welchen Mitgliedern der Öffentlichkeit unter welchen Voraussetzungen wann Überprüfungsrechte eingeräumt werden sollen. Eine „Nulllösung“ im Sinne einer vollständigen Verwehrung von Überprüfungsrechten bei Verstößen gegen bestimmte Normen des österreichischen Umweltrechts ist jedoch weit außerhalb dieses Spielraums.

Nach ausführlicher Begründung und Würdigung der von Österreich im Pilotverfahren vorgebrachten Argumente kam die Kommission zum Schluss, „dass die Republik Österreich ihrer Verpflichtung nach Art 9 Abs 3 AK iVm Art 216 Abs 2 AEUV und mit dem Prinzip der nützlichen Wirkung (effet utile) der unten genannten Richtlinien, soweit der Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/35/EG nicht eröffnet ist, nicht nachgekommen ist, da sie

– NRO keine Klagebefugnis einräumt, um vorgenommene Handlungen oder begangene Unterlassungen, die gegen die Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, die RL 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, die Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft für Europa und die Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle verstoßen, von einem Gericht überprüfen zu lassen,

– Einzelpersonen keine Klagebefugnis einräumt, um vorgenommene Handlungen oder begangene Unterlassungen, die gegen die Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, die Richtlinie 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik und die Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft für Europa verstoßen, von einem Gericht überprüfen zu lassen.“ [Hervorh durch Verf]

Der weitere Verlauf dieser Causa bleibt abzuwarten. Österreich hat nun vorerst zwei Monate Zeit, sich zum Mahnschreiben der Kommission zu äußern. Ob die Kommission dadurch aber noch von der Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme gem Art 258 AEUV abgehalten werden kann, erscheint fraglich. Die Aarhus-Konvention wird den nationalen Gesetzgeber wohl jedenfalls noch einige Zeit beschäftigen…

 

[1] S ECE/MP.PP/C.1/2012/4, insb Rz 75 sowie 80.

[2] S ECE/MP.PP/C.1/2012/4, insb Rz 72 f.

[3] S ECE/MP.PP/C.1/2012/4, Rz 81 lit a Unterpunkt iii.

[4] Die Union gab anlässlich der Unterzeichnung der Konvention eine dem Art 19 Abs 5 der Konvention entsprechende Erklärung betreffend der jeweiligen Kompetenzen ab (S die “Declaration upon approval” by the European Community in accordance with Article 19 of the Convention; abrufbar unter treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVII-13&chapter=27&lang=en [12.08.2013]) in der sie sich für die Erfüllung jener, von in Kraft stehenden Unionsnormen erfassten, Konventionsverpflichtungen (allein) als völkerrechtlich verantwortlich erklärte.

[5] Hinsichtlich Art 9 Abs 1 und 2 der Konvention insbesondere der Erlass der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL 2003/35/EG, sowie Umweltinformations-RL 2003/4/EG,

[6] Hinsichtlich des wichtigen, jedoch nur kleinen Bereichs der Umwelthaftung vgl RL 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl L 2004/143, 56 bzw für den Bereich der Union selbst durch die „Aarhus-VO“ VO (EG) 1367/2006.

[7] Vgl ABl C 2014/153, 3.

[8] KOM(2003) 624 endg (ABl C 2004/96, 22); Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten.

[9] ACCC/C/2010/48 (Österreich), ECE/MP.PP/C.1/2012/4.

[10] Vgl zB jene von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie: Madner, Study on the Implementation of Article 9.3 and 9.4 of the Aarhus Convention in 10 of the Member States of the European Union + Croatia – Austria (2013).

[11] Entschließungsantrag vom 13.06.2012, 1979/A (E) XXIV. GP – dieser Entschließungsantrag wurde abgelehnt; bzw vom 29.01.2014, 124/A (E) XXV. GP – dieser Antrag war zwar auf der Tagesordnung der 2. Sitzung des Ausschusses vom 21. Februar 2014, wurde jedoch vertagt; Die BReg sollte in beiden Fällen jeweils aufgefordert werden, dem NR eine RV für ein Bundes- Umweltrechtsschutzgesetz/bzw Bundesumweltrechtsbehelfsgesetz vorzulegen.

[12] Vgl Schulev-Steindl, Rechtliche Optionen zur Verbesserung des Zugangs zu Gerichten (access to justice) im österreichischen Umweltrecht gemäß der Aarhus-Konvention (Artikel 9 Absatz 3), Endbericht der Studie im Auftrag des Lebensministeriums (2009) insb 29; zustimmend Ennöckl, in Ennöckl/N. Raschauer/Bergthaler, UVP-G. Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz – Kommentar3 (2013) § 2 Rz 21; N. Raschauer, in Ennöckl/N. Raschauer/Bergthaler, UVP-G. Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz – Kommentar3 (2013) § 19 Rz 46; Altenburger/N. Raschauer, Was folgt auf "Angerschlucht" und "Brenner-Basistunnel"? RdW 2011, 130 (131 f); aA Randl, Der Umweltanwalt im UVP-Verfahren, in Ennöckl/N. Raschauer (Hrsg), Rechtsfragen des UVP-Verfahrens vor dem Umweltsenat (2008) 147 (148) bzw FN 6 unter Bezugnahme auf Thallinger, ZfV 2004, 614 f).


[13] So ausdrücklich BMLFUW (Hrsg), Rundschreiben zur Durchführung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes UVP-G 2000 (2011), GZ BMLFUW-UW.1.4.2/0013-V/1/2011, 100 mHa VfGH 16.06.2004, G 4/04.

Ähnliche Beiträge

Alle ansehen

Klimaseniorinnen gewinnen vor dem EGMR

Das am Dienstag vom EGMR verkündete Urteil im Fall Verein KlimaSeniorinnen und andere gegen die Schweiz gilt schon jetzt als historisch. Zum ersten Mal hat sich der Gerichthof mit den grundrechtlichen

RED III Spezial - Neue Ziele braucht der Kontinent!

Mit der RED III wird das 2030-Ziel für erneuerbare Energie erhöht. Zudem werden für bestimmte Sektoren eigenständige Zielsetzungen festgelegt. Die RED III definiert für 2030 folgende Ziele: 42,5 % der

„Greenwashing“ beim Venedig-Flug

Die AUA warb für Flüge nach Venedig mit Werbeaussagen wie „CO2-neutral zur Biennale fliegen?“ und „100 % SAF“ (nachhaltiger Flugkraftstoff). Ein Fall von Greenwashing, urteilte das Handelsgericht. Der

bottom of page