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VfGH bestätigt gravierendes Rechtsschutzdefizit in der Klimakrise

Zur Zurückweisung der Kinder-Klimaklage aus formalen Gründen


Zwölf Kinder haben es mit Unterstützung durch CLAW – Initiative für Klimarecht und Fridays for Future gewagt, die Verletzung ihrer verfassungsgesetzlich gewährleisteten Kinderrechte durch das faktisch unwirksame, aber nach wie vor in Kraft stehende Klimaschutzgesetz 2011 vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) geltend zu machen – jedoch ohne Erfolg. Anstatt sich inhaltlich mit den Argumenten auseinanderzusetzen, zog sich der Gerichtshof – wie so oft – ohne greifbare Begründung auf formale Gründe zurück und beschäftigte sich weder mit der Frage der (unmittelbaren) Betroffenheit der Antragsteller:innen noch mit der Rechtsqualität des Art 1 BVG Kinderrechte (VfGH 27.6.2023, G 123/2023).


Von Florian Graber


Zu eng, zu weit, zu schmal, zu breit – so oder so ähnlich kann die Spruchpraxis des VfGH zu unzähligen Individualanträgen gem Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG überspitzt formuliert zusammengefasst werden, wenn eine inhaltliche Behandlung der vorgebrachten Bedenken von vornherein ausscheiden soll. Der ständigen Rechtsprechung des VfGH folgend, müssen Individualanträge nämlich trennscharf jene Stellen eines als verfassungswidrig erachteten Gesetzes bezeichnen, die aufgehoben werden müssen, damit die Verfassungswidrigkeit beseitigt wird. Das bedeutet, dass Antragsteller:innen bereits im Zeitpunkt der Antragstellung antizipieren müssen, welche der vorgebrachten (Grund-)Rechtswidrigkeiten der VfGH tatsächlich aufgreifen wird und welche konkreten Gesetzesstellen in welchem Umfang seiner Ansicht nach zu ihrer Behebung aufzuheben sein werden. Werden die Gesetzesbestimmungen im Antrag nicht in genau dem „richtigen“ Umfang benannt, kann dieser als zu eng oder zu weit gefasst zurückgewiesen werden, ohne dass sich der Gerichtshof mit der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit oder gar den inhaltlich vorgebrachten Grundrechtsverletzungen auseinandersetzen müsste (vgl zB VfSlg 20.154/2017; 16.212/2001). Dies eröffnet dem Gerichtshof zwar den größtmöglichen Entscheidungsspielraum, lässt grundrechtsverletzte Antragsteller:innen jedoch ohne weitere Rechtsschutzalternative zurück.


Dies wurde nunmehr auch der – in Form eines Individualantrages nach Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG im Februar 2023 eingebrachten – „Klimaklage“ von zwölf Kindern und Jugendlichen zum Verhängnis. Inhaltlich wurden dabei mehrere Passagen des in Geltung stehenden Klimaschutzgesetzes 2011 (KSG 2011) (BGBl I 106/2011 idF BGBl I 58/2017) mit der Begründung angefochten, dass das Gesetz seit dem Jahr 2020 keine Treibhausgas (THG)-Reduktionsziele mehr vorsieht und daher faktisch unwirksam ist. Dadurch werden die stetig voranschreitende Klimakrise und ihre Folgen nicht gebührend adressiert, was wiederum aus dem Umstand ablesbar ist, dass die THG-Emissionen Österreichs seit dem Basisjahr 1990 nur unmerklich gesunken sind. Dies wirkt sich bereits heute auf die physische und psychische Gesundheit von Kindern – und damit auch der Antragsteller:innen – aus. Darüber hinaus werden Kinder in Zukunft die Hauptlast der Klimakrise in doppelter Weise zu tragen haben: einerseits in Form der unvermeidbar angelegten, katastrophalen Folgen der Klimakrise und andererseits durch jene einschneidenden Beschränkungen ihrer grundrechtlichen Freiheiten, die zu deren Bekämpfung künftig erforderlich werden (s dazu auch Dt BVerfG 24.3.2021, 1 BvR 2656/18). Auf dieser Grundlage machten die Antragsteller:innen einerseits eine Verletzung ihres Rechts auf Schutz und Fürsorge, bestmögliche Entwicklung und Entfaltung und Wahrung ihrer Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der Generationengerechtigkeit (Art 1 BVG Kinderrechte, BGBl I 4/2011) und andererseits eine Verletzung in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Gleichheitssatz bzw allgemeines Sachlichkeitsgebot gem Art 2 StGG zbw Art 7 B-VG) geltend. Zur Begründung ihrer unmittelbaren Betroffenheit durch das KSG 2011 stützten sich die Antragsteller:innen darauf, dass sie zwar keine direkten Normadressat:innen des Gesetzes seien, das KSG 2011 jedoch nach seinem Zweck und Ziel auf den Klimaschutz abziele und damit (auch) der Umsetzung der genuinen Schutzpflicht des Staates gegenüber Kindern iSd Art 1 BVG Kinderrechte bzw Art 24 GRC diene. Da das – speziell in § 3 KSG 2011 normierte – qualifizierte Unterlassen des Gesetzgebers in puncto Klimaschutz die Wahrnehmung dieser Schutzpflicht jedoch behindere, werde das Recht der Antragsteller:innen auf Schutz und Fürsorge verletzt.


Weder wurden jedoch die Fragen nach der rechtlichen Qualität des Art 1 BVG Kinderrechte durch den VfGH behandelt noch jene nach der Betroffenheit der Kinder und Jugendlichen aufgrund der Verletzung genuiner staatlicher Schutzpflichten. Vielmehr zog sich der Gerichtshof auf den „Grund des zu eng gewählten Anfechtungsumfanges“ zurück und führte dazu aus, dass die von den Antragsteller:innen „behauptete Verfassungswidrigkeit nicht durch die bloße Aufhebung einzelner Wortfolgen in § 3 Abs. 2 KSG beseitigt werden könnte“ (vgl VfGH 27.6.2023, G 123/2023, Rz 46 und 52). Darüber hinaus hätte der Gerichtshof seiner Ansicht nach „einen unzulässigen Akt positiver Gesetzgebung“ gesetzt, wäre er den Anträgen gefolgt (vgl VfGH 27.6.2023, G 123/2023, Rz 53). Vor diesem Hintergrund befand er den Individualantrag als formal unzulässig.


Die Feststellung, dass der Antrag „zu eng“ gefasst sei, ist aus unterschiedlichen Gründen zumindest als fragwürdig anzusehen. Zuvorderst wurde sowohl im gegenständlichen Haupt- als auch im Eventualantrag die Aufhebung mehrerer Gesetzesstellen des § 3 als auch des § 6 KSG 2011 begehrt. Dabei wurden unter anderem die problematischen Verweise des Gesetzes auf bereits vergangene Verpflichtungszeiträume – endend mit dem Jahr 2020 – angefochten. Allein die Aufhebung dieser Verweise hätte aber ausgereicht, um den zuständigen Bundesminister:innen zumindest wieder die Möglichkeit zu geben, Handlungen auf Grundlage des KSG 2011 zu setzen bzw die darin vorgesehenen Verhandlungen über wirksame Klimaschutzmaßnahmen zu führen. Eine solche Einschränkung des Aufhebungsbegehrens wäre vor dem Hintergrund einschlägiger Rechtsprechung des VfGH in der Vergangenheit jedenfalls möglich gewesen, wonach „zu weit“ gefasste Anträge „nicht in jedem Fall unzulässig“ sind (vgl VfGH 24.6.2021, V 87/2021-12, Rz 27; 5.3.2014, G 79/2013 ua). Vielmehr können nach Auffassung des VfGH zu weit gefasste Individualanträge auch nur teilweise zugelassen und lediglich die als nicht zulässig erachteten Antragsteile zurückgewiesen werden (vgl VfGH 24.6.2021, V 87/2021-12, Rz 28). Dementsprechend hätte im vorliegenden Fall die Möglichkeit bestanden, das Aufhebungsbegehren auf die oben erwähnten Verpflichtungszeiträume einzuschränken. Voraussetzung dafür wäre allerdings die Qualifikation des Antrages als „zu weit“ gewesen; durch die Einstufung der Anträge als „zu eng“ wurde von vornherein jegliche weitere Auseinandersetzung mit ihnen obsolet, da der VfGH Individualanträge nicht eigenmächtig ausweiten kann.


Darüber hinaus könnte aus der Ansicht des VfGH, dass der Antrag zu eng gefasst worden sei, geschlossen werden, dass das KSG 2011 in seiner aktuellen Form zwar in der Tat verfassungswidrig, jedoch gleichzeitig so irreparabel ist, dass dieser Zustand nur durch eine Aufhebung des gesamten Gesetzes bzw eines Großteils seiner Bestimmungen behoben werden kann. Dies wäre aufgrund der Konzeption des KSG 2011 und des engen inhaltlichen Zusammenhangs seiner Einzelbestimmungen zwar grundsätzlich denkbar. Allerdings stünde dem wohl die weitere – durch den VfGH entwickelte – Zulässigkeitsvoraussetzung entgegen, dass die von den Antragsteller:innen behaupteten Rechtsverletzungen durch die Aufhebung der bekämpften Gesetzbestimmungen beseitigt werden müssen (vgl zB VfSlg 17.217/2004). Da die im gegenständlichen Fall aufgezeigte Grundrechtsverletzung jedoch in dem durch das KSG 2011 bewirkten, qualifizierten Unterlassen der zuständigen Behörden hinsichtlich der Ergreifung wirksamer Klimaschutzmaßnahmen zu sehen ist, wären die Antragsteller:innen auch durch die gänzliche Aufhebung des KSG 2011 nicht bessergestellt. Diesfalls würden nämlich gar keine Treibhausgasminderungsziele gelten, was dem Klimaschutz ebenso wenig zuträglich wäre, wie ein faktisch wirkungsloses KSG. Da keine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Erlassung eines neuen, wirksamen KSG besteht und es auch außerhalb der Möglichkeiten des VfGH liegt, eine solche Verpflichtung zu begründen, würde sich die Lage der Antragsteller:innen auch durch die Aufhebung des gesamten KSG 2011 de facto nicht verändern. Inwieweit ein „weiter“ gefasster Antrag mit dieser Zulässigkeitsvoraussetzung kollidieren bzw wie der VfGH diese Judikaturlinien in Einklang bringen würde, ist somit fraglich.


In diesem Sinne lässt der VfGH die Antragsteller:innen auf mehreren Ebenen ratlos zurück. Vor allem stellt sich die Frage, wie der Verweis auf den „zu eng“ gefassten Antrag rechtlich einzuordnen ist und ob die Anfechtung des gesamten KSG 2011 vor dem Hintergrund der weiteren, einem solchen Vorgehen teils widersprechenden Zulässigkeitsvoraussetzungen für Individualanträge tatsächlich der Weisheit letzter Schluss sein kann. Fest steht in jedem Fall, dass es sich der VfGH mit seiner Entscheidung auf Kosten der Generationengerechtigkeit leicht.

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